Man muß die Handlungen nach der Absicht beurteilen


Ungeacht ich beständig geneigt bin, von dem Guten gutes zu reden und viel eher auch dieienigen Dinge, welche gut sein können, gut auslege, so macht doch unser seltsamer Zustand, dass wir oft durch das Laster selbst, etwas Gutes zu tun angetrieben werden, woferne nicht die Güte einer Handlung nach der Absicht allein müßte beurteilt werden. Daher darf man einen, wegen einer tapfern Tat nicht gleich für einen tapfern Mann halten. Wer eigentlich tapfer ist, wird es beständig und bei allen Gelegenheiten sein. Wenn es eine angewohnte Tugend und nicht eine jähe Hitze wäre, so würde sie einen Menschen bei allen Zufällen gleich beherzt machen. Er würde, wenn er allein wäre, eben so sein, wie er in Gesellschaft ist. Er würde sich in einem Turniere, als in einem Treffen bezeigen: denn man mag sagen was man will, eben die Tapferkeit, welche sich auf dem Pflaster zeigt, zeigt sich auch in freiem Felde. Ein wahrhaftig tapferer Mensch würde eben so beherzt eine Krankheit in seinem Bette, als eine Wunde im Felde ertragen: er würde sich vor dem Tode so wenig in seinem Hause, als in einem Sturme fürchten. Wir würden nicht sehen, dass ein Mann der mutig Sturm läuft, sich hernach, wie ein Weib, über den Verlust eines Prozesses oder eines Sohnes quälte. Wenn einer keinen Schimpf ertragen kann, und standhaft in der Armut ist; wenn sich einer vor dem Barbiermesser scheut, aber den feindlichen Degen nicht achtet: so ist zwar die Handlung aber nicht der Mensch lobenswürdig. Viele Griechen, sagt Cicero (a), haben nicht das Herz dem Feinde unter die Augen zu gehen, bezeigen sich aber in Krankheiten standhaft. Bei den Cimbrern und Celtiberiern ist es umgekehrt (b) Nihil enim potest esse aequabile quod non a certa ratione proficiscatur.

 

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(a) Graeci hostem adspicere non possunt, eidem morbos toleranter atque humane ferunt. At Cimbri et Celtiberi in proeliis exsultant, lamentantur in morbo. Tusc. Quaest. L. II. c. 27.

(b) Nichts kann beständig und gleichförmig sein, was nicht mit guter Überlegung geschieht. Cic. ibid.


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