Die Völlerei ist ein grobes und viehisches Laster
Nun scheint mir aber die Trunkenheit vor andern Lastern ein grobes und viehisches Laster zu sein. Der Verstand hat bei andern noch mehr zu tun; und es gibt Laster, die, ich weiß selbsten nicht, was großmütiges an sich haben, wenn ich so sagen soll. Es gibt Laster, in welche sich die Wissenschaft, der Fleiß, die Tapferkeit, die Klugheit, die Geschicklichkeit, und die Spitzfindigkeit mit einmischen: dieses hingegen ist völlig körperlich und irdisch. Daher geht es auch nur bei dem ungesittesten, unter den jetzigen Völkern im Schwange (a). Die übrigen Laster schwächen den Verstand, dieses entkräftet und betäubt den Leib.
Cum vini vis penetrauit,
Consequitur grauitas membrorum, praepediuntur
Crura vacillanti, tardescit lingua, madet mens,
Nant oculi, clamor, singultus, iurgia gliscunt. (b)
Ein Mensch kann in keinem schlimmeren Zustande sein, als wenn er sich selbst nicht kennt, und seiner selbst nicht mächtig ist. Man sagt unter andern davon, dass der Wein die verborgensten Geheimnisse bei denjenigen, die ihn über die Maße getrunken haben, herauslockt, eben so wie der Most, wenn er in einem Gefäße braust, alles was zu Boden liegt, in die Höhe stößt.
Tu sapientium.
Curas, et arcanum iocoso
Consilium retegis Lyaeo. (c)
Joseph erzählt, (d) dass er einen gewissen Gesandten, den die Feinde an ihn geschickt hatten, ausgeforscht habe, da er ihm mit starkem Trinken zugesetzt. Indessen fand sich doch August, da er dem Lucius Piso, welcher Thracien erobert hatte, seine allergeheimsten Sachen anvertraute, (e) niemals betrogen: eben so wenig als Tiberius mit dem Cossus, dem er alle seine Anschläge offenbarte: ungeacht wir wissen, dass sie alle beide dem Wein so stark ergeben gewesen, dass man sie beide oft (f) betrunken aus dem Rate hat nach Hause tragen müssen.
Hesterno inflatum venas de more Lyaeo. (g)
So vertraute man auch dem Cimber, ungeacht er sich oft betrank, so getreulich als dem Cassius, der Wasser trank, das Vorhaben den Cäsar zu ermorden: (h) daher er die artige Antwort gab; Wie sollte ich einen Tyrannen vertragen, da ich nicht den Wein vertragen kann.
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(a) Ich glaube nicht, dass es jetzt erlaubt ist, eine Erläuterung über diese Stelle zu machen, weil das Volk, welches man etwa nennen möchte, gar leicht den Vorwurf zurück schieben könnte.
(b) Wenn der Wein einen Menschen einnimmt, so werden die Glieder schwer, der ganze Leib wankt, die Zunge stammelt, der Geist ist ertrunken, die Augen schwimmen, man hört nichts als Schreien, Schlucken, Zanken. Lucret. L. III. v. 475. seqq.
(c) Du machst die Ernsthaftesten lustig, und entdeckest uns ihre Gedanken und ihre geheimsten Anschläge. Horat. L. III. Od 21. v. 14. seqq.
(d) De vita sua p. 1016. A.
(e) Senec. Epist. 83. L. Piso — ebrius ex quo semel factus fuit, maiorem partem noctis, in eonuiuio exigebat, vsque in horam sextam fere dormiebat — officium tarnen suum, quo tutela vrbis continebatur, diligentissime admini-strauit.
(f) Id. ibid. Tiberius — Cossum fecit vrbis praefectum, virum grauem, moderatum, sed mersum vino et madentem: adeo vt ex senatu aliquando, in quem e eonuiuio venerat, n oppressus inexcitabili somno, tolleretur. — Nullum Cosso aut priuatum secretum aut publicum elapsum.
(g) Wenn, ihrer Gewohnheit nach, ihre Adern noch von dem Weine aufgeschwollen sind, den sie Abends vorher zu sich genommen haben. Virg. Eclog. v. 65.
(h) Seneca Epist. 83. De illa C. Caesaris caede, illius dico, qui superato Pompeio Rempublicam tenuit, tarn creditum est Tullio Cimbro, quam C. Cassio. Cassius tota vita aquam bibit: Tullius Cimber et nimius erat in vino. - In hanc rem locatus est ipse: Ego, inquit, quenquam feram, qui vinum ferre non possum? Aber Seneca hat die Rede des Cimber verstümmelt, damit er nicht dem Cäsar den Namen eines Tyrannen geben dürfte, wie Montaigne tut.