Des Montaigne seines Vaters Charakter
Mein Vater hat mir wunderschöne Dinge von der Keuschheit seiner Zeit erzählt. Er konnte davon reden, weil er so wohl durch die Kunst als von Natur zum Umgange mit Frauenzimmer sehr geschickt war. Er redete wenig, aber artig, und mischte immer in seine Reden einige Zierraten aus bekannten Büchern, besonders aus Spanischen ein, und unter den Spanischen hatte er den sogenannten (a) Marcus Aurelius gut inne. In seinen Minen zeigte sich eine leutselige, höfliche und sehr bescheidene Ernstaftigkeit. Er hielt ganz besonders viel auf die Ehrbarkeit und den Wohlstand an seiner Person, und in seinen Kleidern, er mochte zu Fuß oder zu Pferde sein. Sein Wort hielt er ganz unglaublich genau, er war sehr gewissenhaft, und überhaupt sehr für die Religion eingenommen, ja mehr zum Aberglauben als zu dessen Gegenteil geneigt. Er war, für einen Mann von kleiner Statur, sehr munter. Er war gerade und sehr gut gewachsen, und hatte ein angenehmes Gesicht, das ins braune fiel. Er war ferner in allen adeligen Übungen sehr geschickt. Ich habe noch mit Blei ausgefüllte Röhre gesehen, womit er seine Arme geübt haben soll, um zum Stangen und Steinwerfen, oder zum Fechten geschickt zu machen: desgleichen mit Blei besohlte Schuhe, womit er sich zum Laufen und Springen leicht machen wollte. In Ansehung des Springens erzählt man noch kleine Wunder von ihm. Er lachte, da er schon über sechzig Jahr alt war, über unsere jetzige Geschicklichkeit. Er sprang in seinem langen Pelze auf ein Pferd, ging auf dem Daumen um die Tafel herum, und begab sich selten in sein Zimmer hinauf, ohne drei oder vier Stufen auf einmal zu überspringen. Was gegenwärtige Materie anlangt, sagte er, in einer ganzen Provinz wäre kaum eine einzige vornehme Frau in üblem Rufe gewesen. Er erzählte mir erstaunliche Vertraulichkeiten, in denen er, auch für seine Person, mit den ehrlichsten Weibern, ohne den geringsten Verdacht, gestanden hätte. Von sich schwur er heilig, dass er als Junggeselle in Ehestand getreten sei: und doch geschähe dieses, nachdem er vorher lange Zeit dem Kriege jenseit des Gebürges beigewohnt hatte, als von welchem er uns ein eigenhändiges Tagebuch hinterlassen hat, in welchem alles, was sich dabei, teils für die gemeine Sache, teils für ihn, merkwürdiges zugetragen, aufgezeichnet hat. Er verheiratete sich auch erst bei ziemlichen Jahren im Jahr 1525, welches sein drei und dreißigstes Jahr war, auf dem Rückwege aus Italien.
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(a) Mericus Casaubonus sagt von diesem Buche in einer kleinen Nachricht, die er seiner Englischen Übersetzung von dem wahren Werke des Kaisers Marcus Aurelius vorgesetzt hat, dass dieses Buch ursprünglich Spanisch geschrieben, und darnach ins Italienische, Französische und Englische übersetzt worden sei u. s. w. Der Verfasser, setzt er hinzu, sucht im Ernste sein Werk für eine getreue Übersetzung des Marcus Aurelius aus zu geben. Allein es ist in diesem ganzen Buche nichts, woraus man schliessen könnte, ob der gelehrte Spanier, der es verfertigt hat, iemals das Werk dieses weisen Kaisers gesehen hätte. Dieser Spanier heißt Gvevara, der aber den Titel gelehrt, welchen ihm hier Mericus Casaubonus giebt nicht verdient. Mann kann die wahre Abbildung seines Geistes und seiner Werke in Baylens Wörterbuche, unter dem Artikel Gvevara sehen.