Was für ein Vorzug der Mensch vor anderen Geschöpfen hat


Allein, diese Leute wollen mit ihrer eignen Rute gepeitscht sein, und wollen ihre Vernunft nicht anders als durch sie selbst bestreiten lassen. Laßt uns demnach gegenwärtig den Menschen ganz allein und für sich, ohne fremde Hilfe, bloß mit seinen eigenen Waffen gerüstet, und ohne die Gnade und Erkenntnis Gottes, die alle seine Ehre, alle seine Stärke, ja den Grund seines Wesens ausmacht, betrachten. Laßt uns sehen, wie er sich in dieser schönen Rüstung halten wird. Er zeige mir also durch die Stärke seiner Vernunft, auf was für Grund er diese große Vorzüge, die er vor den andern Geschöpfen zu haben denkt, gebaut hat. Wer hat ihn beredet, dass das bewundernswürdige Herumdrehen des Himmelsgewölbes, das ewige Licht der so kühn über seinem Haupte hinlaufenden Fackeln, die furchtbaren Bewegungen des unermeßlichen Meeres bloß zu seiner Bequemlichkeit, und zu seinem Dienste gemacht sind, und so viele hundert Jahre fort gedauert haben. Kann man sich etwas so lächerliches einbilden, als dieses, dass sich ein so elendes und armseliges Geschöpf, welches nicht einmal über sich selbst Herr ist, und von allen Dingen verletzt werden kann, einen Beherrscher und Regenten der ganzen Welt nennt, von welcher es nicht einmal den geringsten Teil erkennt, geschweige denn regieren kann? Und wer hat denn dem Menschen das Vorrecht gegeben, welches er sich selbst anmasst, dass er in diesem großen Gebäude ganz allein geschickt sei, desselben Schönheit und Teile zu erkennen, ganz allein geschickt, dem Baumeister dafür Dank zu sagen, und von dem Nutzen und Gebrauch der Welt Rechenschaft zu geben? Er muß uns die Bestallung zu diesem wichtigen und großen Amte zeigen. Ist sie nur den Weisen zum besten ausgefertigt worden? Alsdann geht sie wenig Leute an. Sind die Thoren und Ruchlosen einer so ausserordentlichen Gnade würdig; und verdienen sie, da sie der schlimmste Teil der Welt sind, allen übrigen Teilen vorgezogen zu werden? Wollen wir einem Weltweisen hierinnen (a) glauben? Quorum igitur causa quis dixerit effectum esse mundum? Eorum scilicet animantium, quae ratione vtuntur. Hi sunt dii et homines, quibus profecto nihil est melius. Diese unverschämte Verbindung kann niemals genug belacht werden. Allein, was hat dann der arme Mensch an sich, das eines solchen Vorzuges würdig ist? Man betrachte nur die unverwesliche Dauer der himmlischen Körper, ihre Schönheit, ihre Größe, ihre beständige und so regelmäßige Bewegung

 

Quum suspicimus magni coetestia mundi

Templa super, stellisque micantibus aethera fixum,

Et venit in mentem Lunae Solisque viarum. (b)

 

Man betrachte nur die Herrschaft und Gewalt, welche diese Körper nicht allein über unser Leben und die Glücksgüter,

 

Facta etenim et vitas hominum suspendit ab astris: (c)

 

sondern auch so gar über unsere Neigungen, unsere Schlüsse, und unsern Willen haben; welchen sie durch ihre Einflüsse regieren, antreiben, und bewegen, wie uns unsere Vernunft lehrt, und erkennt:

 

 

- - Speculataque longe

Deprendit tacitis dominantia legibus astra,

Et totum alterna mundum ratione moueri,

Fatorumque vices certis discernere signis. (d) 

 

Man gebe nur Acht, wie nicht allein ein Mensch, nicht allein ein König, sondern ganze Monarchien, ganze Reiche, durch die geringsten himmlischen Bewegungen in Bewegung gesetzt werden,

 

Quantaque quam parui faciant discrimina motus; (e)

Tantum est hoc regnum quod Regibus imperat ipsis. (f)

 

Wenn unsere Tugend, unsere Laster, unsere Geschicklichkeit und Wissenschaft, und selbst diese Betrachtung, die wir über die Macht der Sterne anstellen, und die Vergleichung, zwischen ihnen und uns, wenn alles dieses, wie unsere Vernunft urteilt, durch ihre Wirkung und Gunst geschieht,

 

- - - Furit alter amore,

Et pontum tranare potest et vertere Troiam:

Alterius sors est scribendis legibus apta:

Ecce patrem nati perimunt, natosque parentes,

Mutuaque armati coeunt in vulnera fratres:

Non nostrum hoc bellum est: coguntur tanta mouere,

Inque suas ferri poenas, lacerandaque membra

- - -

- - -

Hoc quoque fatale est, sie ipsum expendere fatum. (g)

 

Wenn uns der Teil der Vernunft, den wir besitzen, von dem Himmel zugeteilt ist: wie kann er uns demselben gleich machen? Wie können wir zu einer Wissenschaft von seinem Wesen und seinen verschiedenen Eigenschaften gelangen? Alles, was wir an jenen Körpern sehen, setzt uns in Erstaunen: quae molitio, quae ferramenta, qui vectes, quae machinae, qui ministri tanti operis fuerunt? (h) Warum wollen wir ihnen Seele, Leben und Vernunft absprechen? Haben wir irgend eine unbewegliche und unempfindliche Blödsinnigkeit an ihnen bemerkt, da wir weiter nichts mit ihnen zu schaffen haben, als dass wir ihnen gehorchen müssen? Wollen wir sagen, dass wir bei keinem andern Geschöpfe als bei dem Menschen, den Gebrauch einer vernünftigen Seele gesehen haben? Was? Haben wir irgend etwas gesehen, das der Sonne ähnlich ist? Ist sie deswegen nicht, weil wir nichts ähnliches gesehen haben? hat sie nicht wirkliche Bewegungen, wenn es gleich keine andere gleich förmige gibt? Wenn dasjenige nicht ist, was wir nicht gesehen haben, so hat unsere Wissenschaft sehr enge Grenzen. (i) Quae sunt tantae animi angustiae! Sind es nicht Träume der menschlichen Eitelkeit, wenn man aus dem Monde eine himmlische Erde macht? Wenn man wie Anaxagoras, Berge und Täler darinnen vermutet? wenn man daselbst, wie Plato und Plutarch, Wohnungen für Menschen, anlegt und Pflanzstädte zu unserer Bequemlichkeit errichtet? Wenn man aus unserer Erde ein leuchtendes und helles Gestirn macht?

Inter caetera mortalitatis incommoda, et hoc est, caligo mentium: nec tantum necessitas errandi, sed errorum amor - - -

- - - -

Corruptibile corpus aggrauat animam, et deprimit terrena inhabitatio sensum multa cogitantem. (j)

 

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(a) Dem Stoiker Balbus, der sich beim Cicero de natura Deorum L. II. C. 53. so erklärt. Für wen mag also die Welt wohl gemacht worden sein? Ohne Zweifel für die lebendigen Wesen, welche Vernunft haben. Dieses sind die Götter und Menschen, welche gewiß das vortrefflichste darinnen sind.

(b) Wenn wir die Augen zu dem großen Himmelsgewölbe und den mit schimmernden Sternen gezierten Aether aufheben, den ordentlichen Lauf der Sonne und des Mondes überlegen. Lucretius. L. V. v. 1203. u. f.

(c) Denn, das Leben und die Handlungen der Menschen hangen von dem Laufe der Gestirne ab. Manil. L. III. v. 58.

(d) Man findet, dass die so weit entfernten Sterne, nach verborgenen Gesetzen regieren, dass die ganze Welt sich wechselsweise mit denselben beweget, und dass sich die bevorstehenden Schicksale durch gewisse Zeichen erkennen lassen. Eb. das. L. I. v. 62. u. f.

(e) Und was für große Veränderungen so kleine Bewegungen verursachen. Manil. L. I. v. 57.

(f) So groß ist die Macht, welche so gar Könige beherrscht. Manil. L. IV v. 93.

(g) Einer, den die Liebe rasend macht, fährt über das Meer, und verstört Troja. Einen andern bestimmt sein Schicksal, Gesetze zu schreiben. Auf der andern Seite sieht man Kinder, die ihre Väter, und Aeltern die ihre Kinder umbringen; und Brüder die einander mörderisch anfallen. Aller dieser Krieg rühret nicht von uns her. Eine höhere Gewalt bringt die Menschen so sehr auf, und zwingt sie ihrer Strafe entgegen zu gehen, und sich zu zerfleischen. Selbst diese Art das Schicksal zu betrachten, ist eine Wirkung des Schicksals. Manil. L. IV. v. 79. 85. 118.

(h) Was für Anstalten sind zu einem so wichtigen Werke gemacht worden? Was für Eisenzeug, was für Hebel, was für Maschinen, was für Arbeiter sind dabei gebraucht worden? Cic. de Nat. Deorum. L. I. c. 8.

(i) O! wie enge sind die Grenzen des Verstandes! Cic. de natur. Deor. L. I. C. 31.

(j) Unter andern hat die sterbliche Natur auch diesen Fehler, dass die Gemüter blind sind; dass die Menschen nicht allein notwendig irren müssen, sondern auch noch an ihren Irrtümern Gefallen finden, Seneca de Ira L. II. C. 9. In einigen Ausgaben des Montaigne wird auch die folgende Stelle dem Seneca Epist. 65. beigelegt. Allein, sie steht nicht in diesem Briefe, und wo ich nicht irre, so zeigt gleich die Schreibart, dass man sie vergeblich in irgend einem andern Werk des Seneca suchen würde. Indessen, kann sie etwa so übersetzt werden: der verwesliche Körper beschweret die Seele des Menschen, und die irdische Wohnung drückt das zerstreuete Gemüt nieder. Endlich habe ich diese Stelle in dem H. Augustin. De Ciuitate Dei L. XII. C. 15. gefunden, der sie aus dem Buche der Weisheit C. IX. v. 15 genommen hat.


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