Die Menschen bedienen sich der Religion bloß um ihre ungerechten Begierden zu stillen
Die Menschen sind in diesen Kriegen Anführer, und bedienen sich dabei der Religion: gleichwohl sollte es gerade umgekehrt sein. Gebe einer einmal Acht, ob wir nicht aus ihr machen, was wir wollen. Wenn hat man so viele einander zuwider laufende Figuren, nicht anders als wenn sie wächsern wären, nach einer so geraden und so festen Richtschnur ziehen sehen, als jetziger Zeit in Frankreich? Sowohl diejenigen, welche sie links, als diejenigen, welche sie rechts angreifen, sowohl die, welche sie schwarz machen, als die, welche sie weiß brennen, bedienen sich ihrer zu ihren gewalttätigen und ehrgeizigen Unternehmungen auf eine so ähnliche Weise, und sind einander an Ausschweifungen und Ungerechtigkeit so gleich, dass es zweifelhaft und schwer zu glauben wird, dass sie ihrem Vorgeben nach von derjenigen Sache, auf welcher die Einrichtung und Verfassung unseres Lebens beruht, verschiedene Meinungen hegen sollen. Kann man wohl von einerlei Schule und von einerlei Unterricht ähnlichere und gleichförmigere Sitten erwarten? Man sehe nur, mit was für einer erschrecklichen Unverschämtheit wir auf die göttlichen Wahrheiten hinein stürmen: und wie frech wir sie bald verworfen, bald wieder angenommen haben, nachdem uns das Glück bei diesen allgemeinen Stürmen bald hie bald dahin geschmissen hat! Man erinnere sich nur, was für Leute den berüchtichten Satz: Ob sich ein Untertan zur Verteidigung der Religion wider seinen Landesherrn empören und bewaffnen dürfe, noch das abgewichene Jahr bejaht, und denselben als die Stütze einer Partei im Munde geführt: und was für eine Partei die Verneinung desselben zur Stütze gebraucht hat. Nun höre man aber gegenwärtig (a), was beide Parteien jetzt für eine Sprache führen, und ob die Waffen auf einer Seite weniger Geräusch machen, als auf der andern. Wir verbrennen diejenigen, welche sagen, die Wahrheit müsse sich unter das Joch unserer Notdurft schicken: und macht es nicht Frankreich viel ärger, als wenn es dieses sagte? Laßt uns die Wahrheit gestehen, wer in dem Kriegsheere sogar der gerechten Partei diejenigen aussuchen wollte, die bloß aus gottseligem Eifer zu Felde ziehen, und ferner diejenigen, die bloß auf die Verteidigung ihrer Landesgesetze, oder auf den Dienst ihres Landesherren sehen, würde kaum eine vollständige Kompagnie Soldaten heraus bringen. Woher kommt es, dass man so wenig Leute findet, die bei unsern öffentlichen Unruhen einerlei Neigung und einerlei Bezeigen beobachtet haben; und dass wir sie bald nur ihren ordentlichen Schritt gehen, bald aber in vollem Rennen laufen sehen? Ja, woher kommt es, dass einerlei Leute, unsere Sachen bald durch ihre Gewalttätigkeit und Strengigkeit, bald aber durch ihre Kaltsinnigkeit, Gelindigkeit und Trägheit verderben? Woher kommt dieses, sage ich, als daher, dass sie durch besondere und zufällige Absichten darzu angetrieben werden, nach deren Verschiedenheit sie sich auch verschiedentlich bewegen.
___________________
(a) Montaigne spottet hier ein wenig über die Katholiken, wie Herr Bayle in seinem Wörterbuch unter dem Artikel Hottomann Anmerkung I. sagt.