217. Bach¹⁾. Quelle²⁾. Fluß³⁾. Strom⁴⁾.
Das aus der Oberfläche der Erde hervorrieselnde oder in einem Strahl emporfließende Wasser heißt Quelle, und wenn es dann in der Ebene in einer bestimmten, sich gleichbleibenden Richtung weiterfließt, so nennen wir es, solange es eine geringe Breite und Tiefe hat, einen Bach. Quelle wird aber auch als dichterischer Ausdruck für Bach gebraucht und dann überhaupt in gehobener Sprache zuweilen für das prosaischere Bach. So sagt Schiller in seinem Gedicht: Der Jüngling am Bache: „An der Quelle saß der Knabe“ und „Und so fliehen meine Tage wie die Quelle rastlos hin!“ Da die Quelle ursprünglich nur den Ursprung eines Gewässers bezeichnet, so gilt ihr Wasser, das nicht lange geflossen ist, als frisch und rein; daher können auch nur kleine Bäche mit frischem und reinem Wasser dichterisch mit dem Namen Quellen bezeichnet werden. Für Quelle wieder als Ursprung eines Gewässers ist in poetischer Sprache das alte Maskulinum der Quell gebräuchlich. „Und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell.“ Schiller, Bürgschaft. Rinnen mehrere Bäche zusammen und entsteht so ein fließendes Wasser von größerer Breite und Tiefe, so wird dieses ein Fluß genannt (Fluß = ursprünglich jedes fließende Wasser, das kleinste wie das größte). Ein Fluß (im engeren Sinne) ist nicht nur breiter als ein Bach, sondern er fließt auch durch einen mehrere Meilen langen Raum, wie der Rhein, die Elbe usw., während der Bach auf seine kleine Feldflur eingeschränkt ist. Strom ist ein großes und schnellfließendes Wasser, so wie strömen reichlicher und schneller fließen bedeutet. Ein geringer Bach wird, wenn er durch Regen und Schnee anschwillt und sich von der Höhe herabstürzt, ein Strom, ein Waldstrom, ein Bergstrom. „Und da ich mich nahe des Baches Steg, | da hat ihn der strömende Gießbach hinweg | im Strudel der Wellen gerissen.“ Schiller, Graf von Habsburg. Gewöhnlich bezeichnet Strom aber einen Fluß von gewaltiger Breite und Tiefe, der durch die Vereinigung mehrerer Flüsse nach und nach so groß geworden ist, z. B. der Amazonenstrom. Die Flüsse, die sich unmittelbar in das Meer ergießen, werden daher, besonders in der Nähe ihrer Mündung, Ströme genannt. Havel, Saale, Werra sind nur Flüsse, dagegen sagt man auch Rheinstrom, Elbstrom. Mit Strom darf der Ausdruck Strömung nicht verwechselt werden. Strömung bezeichnet niemals einen breiten oder tiefen Fluß wie Strom, sondern es drückt nur die schnelle und starke Bewegung des Wassers nach einer Richtung aus, die Richtung des Wasserlaufs. So sagt man z. B., wenn ein Fluß an einer Stelle ziemlich starkes Gefälle hat: „Die Strömung ist hier sehr stark.“ Auf dem Meere kann ein Schiff in eine starke Strömung geraten, wie man überhaupt im Meere die verschiedensten Strömungen unterscheidet. Bei der Flut entstehen an der Küste im Meere starke Strömungen nach dem Lande zu, bei der Ebbe starke Strömungen vom Lande ab. Strom dagegen ist allgemeiner in seiner Bedeutung; es bezeichnet entweder einen breiten und tiefen Fluß oder auch die reißende Bewegung des Wassers, die Strömung. Es gehört in der letzteren Bedeutung vorwiegend der poetischen und volkstümlichen Sprache, namentlich in besonderen Redensarten, an, während Strömung mehr der Sprache der Wissenschaft und der abstrakteren Rede zuzuweisen ist. Man sagt: Das Boot kam in den Strom; mit dem Strome schwimmen, gegen den Strom schwimmen; vom Strome getrieben werden, stromauf, stromab schwimmen oder fahren; eine bekannte Meeresströmung nennt man den Golfstrom. „Man wehret dem Strome des Wassers.“ Hiob 28, 11. — Neben Bach stehen noch die Ausdrücke Gießbach und Wildbach. Ein Gießbach ist ein Bach, der durch plötzliche starke Regengüsse oder durch plötzlich getaute Schneemassen angeschwollen ist und dadurch einen sehr reißenden Lauf erhalten hat. „Und da ich mich nahe des Baches Steg, da hat ihn der strömende Gießbach hinweg im Strudel der Wellen gerissen.“ Schiller, Graf von Habsburg. Ein Gießbach kann also auch in die Ebene fließen; ein Wildbach dagegen ist ein Gebirgsbach, der noch nicht in geregelte Bahnen geleitet worden ist. — Da Bach nur ein kleines fließendes Gewässer bezeichnet, so wird durch Anwendung dieses Wortes auf ein großes Gewässer eine scherzhafte Wirkung erzielt, so wenn man sagt: „Überm Bach wohnen auch Leute“ (weil da eine Breite vorausgesetzt wird, daß der an dem einen Ufer Stehende nicht auf das andere hinüberblicken kann, ähnlich wie: „Hinter dem Berge wohnen auch noch Leute“) oder „Er ist über den großen Bach“ [d. i. nach Amerika]. In mitteldeutschen älteren Schriften wie auch heute in mitteldeutschen Mundarten, kommt das jetzt allen in der Schriftsprache übliche Maskulinum der Bach auch als Femininum vor. „Meine Brüder gehen verächtlich vor mir über, wie eine Bach wie die Wasserströme vorüber fließen“ schrieb Luther ursprünglich in Hiob 6, 15 (jetzt wie ein Bach). Die Schlacht an der Kalbach. Die Saubach heißt noch heute ein kleiner Wasserlauf bei Wilsdruff in Sachsen.
In übertragenem Sinne wird Quelle, Fluß, Strom und Strömung viel häufiger gebraucht als Bach. Doch kommt auch Bach in übertragener Bedeutung vor und bezeichnet auch da natürlich einen geringeren Grad als Strom. So spricht man z. B. von Tränenbächen oder von Bächen des Blutes u. ähnl. Solche Ausdrücke bezeichnen bereits einen hohen Grad des Schmerzes oder des Blutvergießens, sind aber doch noch nicht so stark im Ausdruck als Tränenstrome und Ströme Blutes. Da sie aber bei dem geringen Vorrat von Tränen oder Blut im Körper der sinnlichen Anschauung naher stehen, so sind sie oft wirkungsvoller als die übertreibenden Ausdrücke Tränenströme und Ströme Blutes, die nur in besonderen Fällen, wenn es sich um ganze Versammlungen, Volksmassen, Kriegermassen usw. handelt, von Wirkung sind. „Brechet auf, ihr Wunden | Redet, ihr stummen! | In schwarzen Fluten | stürzet hervor, ihr Bäche des Bluts.“ Schiller, Braut von Messina IV, 5. Höhnend spricht man wohl auch von jemand vom Bächlein seiner Rede, um die Dürftigkeit seiner Beredsamkeit zu verspotten, während der Fluß der Rede hervorhebt, daß sie ohne Stocken sich ergießt und der Strom der Rede die Fülle der Worte und deren unablässiges Eindringen auf uns ausdrückt. Niemals stockte der Rede Fluß. Ich konnte ihrem Redestrom nicht entgehen; ich mußte ihrem Redestrom standhalten. Fluß bezeichnet also in übertragenem Sinne die Bewegung, das rasche Vorübergleiten, Strom die Fülle, die herandringende Masse, Strömung die Richtung, den Zug nach einem Ziele hin, z. B. Fluß der Jahre, der Zeit; eine Angelegenheit, die ins Stocken gekommen war, wieder in Fluß bringen; es kommt, gerät etwas in Fluß (Gegensatz: ins Stocken); Lichtstrom, Menschenstrom, Strom des Volkes; politische, geistige, literarische Strömungen usw. „Körper und Stimme leihet die Schrift dem stummen Gedanken, durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.“ Schiller, Der Spaziergang. „Es bildet ein Talent sich in der Stille, | sich ein Charakter in dem Strom der Welt.“ Goethe, Tasso I, 2. „Ich folgte der Strömung, welche die deutsche Art in der Poesie zu Ehren bringen wollte.“ Gustav Freytag, Erinnerungen 197. Eine sehr vielfältige Verwendung hat Strom zur Bezeichnung der elektrischen Strömungen gefunden; elektrischer Strom, Gleichstrom, Wechselstrom usw. — Quelle steht in übertragener Bedeutung, um den Ursprung zu bezeichnen, z. B. die Quelle des Glückes, des Reichtums usw. „Was gut, bleibt gut, wär auch die Quelle schlimm.“ Grillparzer, Ausgabe in sechzehn Bänden, Stuttgart 1887, VIII, 48. Man erfährt etwas aus guter, erster, sicherer, zuverlässiger, bester, trüber Quelle usw. Quell wird in dieser übertragenen Bedeutung nicht gebraucht. — In älterer Zeit hatte das Wort Brunnen die gleiche Bedeutung wie Quelle; denn Brunnen ist eigentlich die sprudelnde oder laufende Quelle und deren Einfassung oder Gehäuse. Daher heißt es noch in Schillers Teil: „Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai“ oder in der Schilderung Melchtals: „Wie ihre Alpen fort und fort dieselben Kräuter nähren, ihre Brunnen gleichförmig fließen.“ Ebenda II, 2. Verdunkelt erscheint diese ursprüngliche Bedeutung bereits in der Zusammensetzung Brunnquell in J. Heermanns Liede: „O Gott, du frommer Gott, du Brunnquell aller Gaben."