246. Befehlen¹⁾. Verordnen²⁾. Gebieten³⁾. Heißen⁴⁾. Vorschreiben⁵⁾.
In Befehlen (eig. übergeben, anvertrauen; mhd. bevëlhen, ahd. bifëlhan) und Gebieten (von bieten = eig. darreichen, ankündigen, anempfehlen; mhd. bieten, ahd. biotan; Gegens. verbieten) wird vorzüglich der Begriff der Verpflichtung durch den Willen des Befehlenden und Gebietenden ausgedrückt; in Vorschreiben die Bestimmung der Handlungen, die zur Erreichung eines Zweckes vorgenommen werden sollen; in Verordnen der Begriff der Übereinstimmung der Mittel mit dem beabsichtigten Zwecke, und daher der Regelmäßigkeit und Ordnung. Ein Feldherr befiehlt, den Feind anzugreifen; denn er hat das Recht und die Gewalt, die Offiziere und Soldaten zu verpflichten, seinen Willen zu tun, und er schreibt genau vor, wie der Angriff ausgeführt werden soll, indem er alles, was dabei vorzunehmen und zu beobachten ist, den unter ihm stehenden Befehlshabern anzeigt. „Kein Kaiser hat dem Herzen vorzuschreiben.“ Schiller, Wallenst. Tod II, 7. Es kann auch einer einem andern etwas vorschreiben und verordnen, ob er gleich keine Gewalt über ihn hat. Der Arzt schreibt dem Kranken die Lebensordnung vor, die er zu beobachten, und verordnet die Arzeneien, die er einzunehmen hat. Vorschreiben weist auf ein ursprünglich schriftliches, heißen (eig. nennen, benennen, dann; auffordern, befehlen, got. haitan, nennen, rufen, befehlen) auf ein mündliches Mitteilen eines Verlangens hin. Heißen kann auch derjenige, der unsersgleichen ist; ein Kind führt zu seiner Entschuldigung an, wenn es etwas Unrechtes getan: Mein Bruder hat es mich geheißen, d. h. er hat dies als seine Willensmeinung ausgesprochen und von mir die Verwirklichung desselben verlangt. Ob übrigens jemand zum Geheiß ein Recht hat oder nicht, bleibt hierbei unentschieden. Zum Befehlen und Gebieten aber gehört das Recht, und außerdem zum Gebieten der Begriff der höchsten Gewalt und des unwiderstehlichen Willens; heißen geht lediglich auf den Inhalt der Willensmeinung. Wer heißt, sagt, was er will. „Hoch auf dem alten Turme steht | der Helden edler Geist, | der, wie das Schiff vorübergeht, | es wohl zu fahren heißt.“ Goethe, Geistes Gruß. Wer befiehlt, sagt, daß er etwas will; wer gebietet, macht, daß sein Wille geschehen muß. Was befohlen wird, soll geschehen, was geboten wird, muß geschehen. Gott gebietet über die Welt, sofern er der Eigentumsherr aller Dinge und der höchste Oberherr aller Geister ist, indem er die Wirkungen der Naturkräfte bestimmt, die Schicksale der vernünftigen Wesen ordnet und sie verpflichtet, seinem Willen zu gehorchen. Ihn den Befehlshaber der Welt zu nennen, würde zu wenig gesagt sein. „Denn so er spricht, so geschieht’s, so er gebeut, so steht es da.“ Ps. 33, 9. Hieraus ergibt sich, warum gebieten edler ist, als befehlen; es drückt nämlich eine größere Gewalt und eine höhere Würde aus. Die Beispiele, die diesen Angaben entgegen sind, lassen sich wohl aus der Sprache der Ehrerbietung, der Höflichkeit und der Schmeichelei erklären, oder aus der Bemerkung einer Ähnlichkeit, wobei man das Unterscheidende übersieht. Wenn der König die Armee anführt, so befiehlt er wie der General, aber aus eigener Macht; der General dagegen aus einer übertragenen und abhängigen. „Der fürstliche Gemahl, der mächtig waltend dieser Stadt gebot.“ Schiller. „Ha, ich bin der Herr der Welt! ich liebe | die Edlen, denen ich gebiete.“ Goethe, Königl. Gebet. „Der König gebeut, | daß ich am Kreuz mit dem Leben | bezahle das frevelnde Streben.“ Schiller, Bürgschaft. Gebieten heißt oft auch soviel wie beherrschen, bezwingen; in diesem Sinne kann befehlen nicht stehen, z. B. „Gebietet Eurem wild empörten Blut, bezwingt des Herzens Bitterkeit.“ Schiller, Maria Stuart III, 3. „Besinne dich, gebiete dieser Wut.“ Goethe, Torquato Tasso V, 5. Auftr. Gebieten kann ferner auch von Sachen, von willenlosen Dingen gesagt werden, während die übrigen nur von Personen gebraucht werden können. Gebieten bedeutet dann, wenn es von solchen willenlosen Dingen gebraucht wird, soviel wie: erheischen, erfordern, und zwar etwas fordern, was unweigerlich geschehen muß; es tritt dann in dem Worte die Bedeutung des Zwingens und Nötigem besonders hervor, z. B. Die Rücksicht auf seine Gesundheit gebietet ihm, sich vollkommen von allen Geschäften fern zu halten (befiehlt, verordnet ihm usw. könnte hier nicht gesagt werden). „Du weigerst dich umsonst, die ehrne Hand | der Not gebietet, und ihr ernster Wink | ist oberstes Gesetz.“ Goethe, Iphigenie IV, 4. Auftr. „Geh, vollbring dein Geschäft, wie der Tag dir gebeut.“ Goethe. So sagt man: die Zeit, die Sachlage, die Umstände, die Verhältnisse, gewisse Rücksichten usw. gebieten etwas, auch passivisch ohne bestimmtes Subjekt: es ist geboten, z. B. Vorsicht, Überlegung usw. ist hier dringend geboten usw. Man spricht von einer gebieterischen Notwendigkeit (d. i. einer zwingenden, der sich niemand entziehen kann) u. ähnl. Befehlen kann in allen diesen Wendungen nicht stehen. Ungewöhnliche kühne dichterische Ausdrucksweise ist es daher, wenn Schiller sagt: „Ehrfurcht befiehlt die Tugend auch im Bürgerkleide“ (statt gebietet). — Interessant ist die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses zwischen gebieten und befehlen. Gebieten ist, in bezug auf die hier in Betracht kommende Bedeutung, der ältere Ausdruck von beiden und ist erst nach dem 15. Jahrhundert in der Umgangssprache, im Alltagsleben von befehlen abgelöst worden und in die höhere und gewähltere Sprechweise übergegangen. Befehlen bedeutete früher vorwiegend Auftrag geben, im Vertrauen, selbst bittweise, nicht als zu erfüllende Pflicht, und entwickelte und verschärfte sich erst nach und nach von einem bloßen anempfehlen aus zur heutigen Bedeutung. Auch gebieten hatte anfangs diese mildere Bedeutung, ging aber weit eher als befehlen in die schärfere Bedeutung über. Um 1500 schreibt Geiler von Keisersberg: „Ein ding, daz man einem befilht, ist vil früntlicher und begiriger einem zu thun, denn do man einem ein ding gebütet... wenn du eim ein ding befilhest, so sprichstu: 'lieber, ich bit dich, thun daz,' aber wenn du eim ein ding gebütest, do einer spricht: 'ich wil daz du daz thust, ich gebüt dir daz du must daz thun,' do gebracht er sich neiszwo einer (d. i. einer gewissen) oberkeit und einer stolzheit (d. i. er gebärdet sich stolz) .... wan daz ist gar früntlich, do einer eim ein ding befilht und zu ihm spricht: 'lieber, ich befill dir daz, daz du das wellest thun, ich bit dich, kümmest du in die statt, so thun daz oder sag dem daz usw.“ Diese Stelle ist zugleich ein anziehender Beleg für altdeutsche Synonymik. Das Gebieten fand in der älteren Zeit nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch einen Boten statt, wo dann das Gebieten von Seiten des Herrn ein Auftraggeben, von Seiten des Boten ein öffentliches Verkünden, Melden, Bestellen, oft ein bloßes Ausrufen war (das Aufgebot von Brautleuten ist eigentlich ein öffentliches Verkünden von der Kanzel herab; noch heute sagt man: Waren ausbieten, d. i. ausrufen). Noch im 16. Jahrh. sagte der Herold beim Turnier: „welcher seinen hasz oder neid nicht erlaszen möcht (d. i. nicht so lange beiseite lassen und zurückhalten kann), dem gebeut ich ausz befelch des königes (d. i. im Auftrag und in Vertretung des Königs), von der ban ungerennet hin und abweg zu reiten.“ Hier heißt der Auftrag des Königs Befehl, und dieser Befehl ist zugleich das eigentliche Gebot, das von dem Herold nur verkündigt wird. Hier ist der Weg deutlich angezeigt, auf dem befehlen in die Bedeutung gebieten überging. Vgl. zu dem Gesagten Rudolf Hildebrand in Grimms Wb. IV, 1. Abt. S. 1755. 1763. Zwischen den Subst. Befehl, Verordnung, Gebot, Geheiß, Vorschrift besteht dieselbe Sinnverwandtschaft.