256. Begierden¹⁾. Lüste²⁾.
Beide Wörter bezeichnen unmäßiges sinnliches Begehren. Lüste sind eigentlich die sinnlichen Vergnügungen, welche das Begehren erregen. Da aber die Gründe und Ursachen oft für ihre Folgen und Wirkungen gesetzt werden, so werden die sinnlichen Begierden selbst Lüste genannt, allein selbst alsdann doch nur diejenigen, die aus einer unmittelbaren starken Sinnenlust entstehen, z. B. des unmäßigen Essens und Trinkens, insonderheit aber der Ausschweifungen des Geschlechtstriebes. Da diese Sinnenlust ihren Sitz in dem Körper hat, so werden diese Lüste oft fleischliche, Lüste des Fleisches genannt. „Freiheit liebt das Tier der Wüste, | frei im Äther herrscht der Gott, | ihrer Brust gewaltge Lüste | zähmet das Naturgebot.“ Schiller, Eleus. Fest. Begierde hingegen begreift auch das ungestüme, rücksichtslose, sinnliche Begehren solcher Dinge in sich, die unmittelbar kein körperliches Vergnügen erregen, z. B. die Begierde nach Eeichtum, die Begierde nach Ehre, Rang, Vorzug u. dgl. „Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer | nach jenem schönen Bild geschäftig an. | So tauml’ ich von Begierde zu Genuß, | und im Genuß verschmacht ich nach Begierde.“ Goethe, Faust I.