Künstler. Die Schilderung eines vollkommenen Künstlers ist ein so schweres Werk, dass dieser Artikel einen bloßen Versuch enthält, die Umrisse zu diesem Gemälde zu entwerfen, dessen völlige Ausführung nur von einer Meisterhand zu erwarten ist.
Das Wichtigste, was zu Bildung eines vollkommenen Künstlers gehört, muss die Natur geben, sein eigener Fleiß aber muss die Gaben der Natur entwickeln und dann müssen noch von Außen zufällige Veranlassungen dazu kommen, um ihn vollends auszubilden.
Da die schönen Künste für das Gefühl arbeiten und eine lebhafte Rührung der Gemüter durch Sinnlichkeit der Gegenstände zu ihrem Augenmerk haben; so scheint eine vorzüglich starke Empfindsamkeit der Seele, die erste Anlage zu dem Genie des Künstlers zu sein. Wer nicht selbst lebhaft fühlt, wird schwerlich in anderen ein vorzügliches Gefühl erwecken können. Ein Werk der schönen Kunst ist im Grunde nichts anders als die äussere Darstellung eines Gegenstandes, der den Künstler sehr lebhaft gerührt hat. Nur das, was wir selbst mit voller Kraft in uns fühlen, sind wir im Stande durch die Rede oder durch andre Wege auszudrücken und anderen fühlbar zu machen. Die Maxime, die Horaz dem Dichter empfiehlt, dass er selbst erst weinen soll, wenn er unsere Thränen will fließen sehen, lässt sich auf jedes Werk der Kunst anwenden. Alles, was wir durch die Kunst empfinden sollen, muss vorher von dem Künstler empfunden werden.
Darum kann er als ein Mensch angesehen werden, der vorzüglich lebhaft empfindet und gelernt hat, seine Empfindung, nach Maßgabe der Kunst, auf die er sich gelegt hat, an den Tag zu legen; Redner und Dichter durch die Rede, der Tonsetzer durch unartikulierte Töne. Die Menschen also, die stärker als andre, von ästhetischen Gegenständen gerührt werden, besitzen die erste Anlage zur Kunst.
Wir würden zu weit von dem Weg, der hier zu betreten ist, abgeführt werden, wenn wir uns in eine genaue psychologische Betrachtung dieser lebhaften Empfindsamkeit einlassen wollten. Wir müssen uns auf das einschränken, was unmittelbar zum gegenwärtigen Vorhaben gehört.
Sie setzt scharfe und feine Sinne voraus. Wer schwach hört, wird weniger von leidenschaftlichen Tönen gerührt als der, der ein feines Ohr hat und so ist es auch mit anderen Sinnen. Darum liegt etwas von der Anlage zum Künstler, schon in dem Bau der Gliedmassen des Körpers. Dazu muss eine sehr lebhafte Einbildungskraft kommen. Durch diese bekommen die sinnlichen Eindrücke, wenn der Gegenstand, von dem sie abhängen auch nicht vorhanden ist, eine Lebhaftigkeit als ob sie durch ein körperliches Ge fühl wären erweckt worden. Der Maler sieht seinen abwesenden Gegenstand als ob er wirklich mit allen Farben der Natur vor ihm läge und wird dadurch in Stand gesetzt, ihn zu malen.1
Ferner wird diese Empfindsamkeit des Künstlers durch eine lebhafte Dichtungskraft unterstützt. Menschen deren Genie auf die deutliche Entwicklung der Vorstellungen geht, abstrakte Köpfe, die den Gegenständen der Erkenntnis alles Körperliche benehmen, um bloß mit dem Auge des Verstandes, das Einfache darin zu fassen, sind zu strengen Wissenschaften aufgelegt: zu den schönen Künsten wird notwendig ein Hang zur Sinnlichkeit erfordert. Dieser macht, dass wir uns das Abstrakte in körperlichen Formen vorstellen, dass wir sichtbare Gestalten bilden, in denen wir das Abstrakte sehen. Je mehr Fertigkeit ein Mensch in dieser Kraft zu dichten hat, je lebhafter wirken die von Sinnlichkeit entfernten Vorstellungen auf ihn. Darum ist jeder Künstler ein Dichter; die vornehmste Kraft seines Genies wird angewendet, die Vorstellungen des Geistes in körperliche Formen zu bilden.
Dieser Hang zeigt sich nirgend deutlicher als bei den Künstlern, die vorzüglich den Namen der Dichter bekommen haben, die mehr als andre, abstrakte Vorstellungen mit Sinnlichkeit bekleiden; weil sie mehr als andere Künstler mit solchen Vorstellungen zu tun haben. Daher kommt die poetische Sprache, die voll Metaphern, voll Bilder, voll erdichteter Wesen ist und die selbst dem bloßen Klang ein innerliches Leben einzuhauchen im Stand ist.
Es ist ebenfalls eine Wirkung dieser Dichtungskraft und dieses Hanges zur Sinnlichkeit, dass man das Unmaterielle und Geistliche, in der Materie entdeckt, welches eine vorzügliche Gabe des Künstlers ist; dass man in bloßer Mischung todter Farben, Sanftmut oder Strengigkeit fühlt. Dass man in bloß körperlichen Formen, in der schlanken Gestalt eines Menschen, in der Bildung einer Blume, selbst in der Anordnung der leblosesten Dinge, der Hügel und Ebenen, der Berge und Thäler, etwas geistliches oder sittliches oder leidenschaftliches entdeckt, ist eine Wirkung dieser Sinnlichkeit; wie wenn Hagedorn zu einer Schönen sagt:
Erkenne dich im Bilde, Von dieser Flur.
Sei stets wie dies Gefilde Schön durch Natur, Erwünschter als der Morgen, Hold wie sein Strahl, So frei von Stolz und Sorgen, Wie dieses Thal.
In dieser Empfindsamkeit, die wir, für die Grundlage des Künstlergenies halten, liegt unmittelbar der Grund der jedem Künstler so notwendigen Begeisterung. Diese bringt die schönsten Früchte hervor und trägt, wie schon anderswo bemerkt worden ist2 das meiste zur Erfindung und lebhaften Darstellung der Sachen bei, indem die Seele des Künstlers, durch die Stärke der Empfindsamkeit in einen hohen Grad der Wirksamkeit gesetzt wird.
Aber mit dieser Anlage zum Kunstgenie muss ein reiner Geschmack an dem Schönen verbunden sein, der die Sinnlichkeit des Künstlers vor Ausschweifungen bewahre. Denn nichts ist ausschweifender und zügelloser als eine sich selbst überlassene lebhafte Einbildungskraft. Der Künstler ist einigermaßen als ein Mensch anzusehen, der wachend träumet und der mit Vernunft raset; wenn ihn diese verlässt gerät er in abenteuerliche Ausschweifungen.
Wie ein Mensch der es in der schönen Tanzkunst zu einer gewissen Fertigkeit gebracht hat, auch da, wo er auf seine Bewegungen nicht acht hat und selbst in dem größten Feuer der Tätigkeit, da er sich selbst vergisst, noch immer angenehmere und besser gezeichnete Stellungen und Bewegungen annimmt als ein anderer, so wird auch ein Künstler, dessen Geschmack am Schönen einmal festgesetzt ist, in dem größten Feuer der Begeisterung, sich nie so weit vergessen, dass er sich gänzlich vom Schönen entfernt. Dieser Geschmack muss die Phantasie überhaupt immer be gleiten, damit die Vorstellungen des Künstlers allemal den Grad des Schönen erhalten, der sie angenehm, eindringend und auch der äußerlichen Form nach interessant macht3. Diese schätzbare Gabe ist nicht allemal mit der lebhaften Empfindsamkeit verbunden, sie muss als eine besondere, für sich selbst bestehende Eigenschaft angesehen werden.
Diese beiden Eigenschaften verbunden können schon einen feinen Künstler bilden; aber der große Künstler, dessen Werke von Wichtigkeit sein sollen, muss noch andere Gaben besitzen. Der beste Blumen- Maler, ist darum noch nicht ein großer Maler und der in der Dichtkunst die artigsten Kleinigkeiten an den Tag bringt, kann sich darum nicht auf die Banke setzen, wo Homer, Sophokles oder Horaz sitzen4.
Liebe zu dem Vollkommenen und Guten und gründliche Kenntnis desselben muss zu jenen Gaben notwendig hinzukommen5. Nur der starke Denker, der zugleich überall das Gute sucht, für den das Vollkommene und das Gute das höchste Interesse haben, bildet und bearbeitet in seinem Geiste Gegenstände, die den schönen Künsten ihren größten Wert geben. Horaz sagt, der sei der vollkommene Künstler, der das Nützliche in das Angenehme mische; aber es ist dem höchsten Zweck der Künste gemäßer, diesen Satz umzukehren und den für den wahren Künstler zu halten, der das Angenehme in das Nützliche mischt. Soll aber das Nützliche die Grundlage der besten Werke der Kunst sein, so muss der Künstler einen vorzüglichen Geschmack an dem Vollkommenen und Guten haben. Es ist nicht die Sinnlichkeit mit dem Geschmack am Schönen verbunden, wodurch Homer und Sophocles und Phidias und Raphael in der Reihe der Künstler den ersten Rang behaupten; diesen erwarben sie sich dadurch, dass sie mit jenen Gaben, die Liebe zur Vollkommenheit verbunden haben. Wer an Geist und Gemüt ein großer Mann ist, wer eine starke Vernunft mit einem großen Herzen verbindet und bei dieser Größe, noch jene sinnliche Empfindsamkeit und den Geschmack am Schönen hat, der ist auch der große Künstler.
Also müssen fast alle großen Gaben des Geistes und Herzens zusammenkommen um das große Kunstgenie zu bilden. Deswegen darf man sich nicht wundern, dass die Künstler vom ersten Range in so kleiner Anzahl sind und nur von Zeit zu Zeit erscheinen.
Und doch ist es mit diesen Talenten noch nicht ausgerichtet; sie machen den Künstler fähig den Stoff zu seinem Werk in seiner eigenen Vorstellungskraft zu bilden, wenn die Materialien dazu vorhanden sind. Diese bekommt er bloß aus Erfahrung, Kenntnis der Welt und der menschlichen Angelegenheiten. Das gröste Kunstgenie wird kein beträchtliches Werk bilden, so lange es ihm an dieser Erfahrung und Kennt nis der Welt fehlt. Zur Beredsamkeit ist es nicht genug, das Genie des Demosthenes oder des Cicero zu haben; man muss auch die Gelegenheit gehabt haben, dieses Genie an wichtigen Gegenständen zu versuchen.
Die Talente sind also einigermaßen todte Kräffte, so lange der Kopf des Künstlers leer an Vorstellungen ist, die sein Genie bearbeiten kann. Also muss, auch die Erziehung, Lebensart und Erfahrung zu dem Genie hinzukommen. Dass die griechischen Künstler alle anderen übertroffen haben, kommt nicht von ihrem größeren Genie her, sondern von diesem Zufälligen; weil sie mehr Gelegenheit als andere gehabt haben, große Dinge zu sehen.6 Ein Jüngling, von dem besten poetischen Genie, der in der Unwissenheit über Menschen und menschliche Angelegenheiten aufgewachsen ist, findet in der ganzen Masse seiner Vorstellungen nichts, das ihn intereßirt, bis das Gefühl der Freundschaft oder der Liebe, in ihm rege wird; und er den Genuß des Lebens empfinden lernt. Sein großes Genie wird also auch nichts wichtigeres als eine verliebte Elegie, Äusserung der Freundschaft; ein Trinklied oder etwas von dieser Art hervorbringen können. Wie mancher Maler mag mit dem größten Genie zur Kunst, ein Blumen- oder Landschaftsmaler geblieben sein, weil es ihm an Kenntnis und Erfahrung gefehlt hat, größere Gegenstände zu bearbeiten? Wenn also die Natur einem Menschen alles gegeben hat, was zum Genie eines großen Künstlers gehört, so muss auch das Glück ihn durch Wege geführt haben, wo er die Natur und die Menschen von mehreren interessanten Seiten hat sehen können. Erst alsdann besitzt er alles was nötig ist, ein wichtiges Werk der Kunst in seinem Kopfe zu entwerfen.
Die psychologische Kenntnis des Menschen, der fast unerforschlichen Wege und Tiefen der Einbildungskraft und des Herzens, muss das Studium der Kunst vollenden. Es ist unendlich leichter den Weg der Vernunft, der ganz gradeist als die krumme Bahn der Sinnlichkeit zu erforschen. Es gibt nur eine Art die Vernunft zu überzeugen; aber auf unzählige Arten, kann die Sinnlichkeit angegriffen werden. Die muss der vollkommene Künstler alle kennen; damit er immer diejenige wähle, die ihn zum Zweck führt.
Aristoteles hat für die Redner eine Theorie der Leidenschaften geschrieben, daraus sie lernen sollten, wie jeder beizukommen sei. Dies ist noch der leichteste Teil der psychologischen Kenntnisse des großen Künstlers. Die Einbildungskraft tut bei dem Leidenschaften das meiste. Wer ihre wundervolle Wirkungen kennte, müsste diese völlig in seiner Gewalt haben. Aber in keinem Teil ist die Psychologie unvollkommener als in diesem. Hier ist den Philosophen ein weites und wenig anbebautes Feld, zu ruhm vollen Arbeiten offen. Leibnitz und Wolff haben den Eingang zu diesen Feldern eröfnet. Deutschlands Philosophen! euch kommt es zu, hineinzugehen und es zu bearbeiten; dem Menschen überhaupt die wichtigste Eigenschaft seiner Seele und dem Künstler das vornehmste Werkzeug, die Gemüter zu lenken, näher bekannt zu machen!
Sowohl die Erfindung des Stoffs als die Bearbeitung desselben erfordern eine gute Erfindungskraft; ein Genie zu Erreichung jeder Absicht die eigentlichsten Mittel zu erfinden. Der Künstler ist ein Mann der die Mittel das menschliche Gemüt zu lenken, in seiner Gewalt haben muss. Dazu ist es noch nicht hinlänglich, dass er den Menschen kennt; er muss das glückliche G nie besitzen, den zur Führung der Menschen nötigen Darstellungen hinlängliche Kraft zu geben. Von den mannigfaltigen Gestalten, die die Gedanken der Menschen annehmen können, muss er für jeden Fall die kräftigste zu finden und auszudrücken im Stande sein. Was Virgil von einem großen Redner sagt: regit dictis animos et pectora mulcet,7 das muss jeder Künstler in seiner Art zu tun im Stande sein. Dazu wird aber unstreitig ein Genie von der ersten Größe erfordert. Darum verkennen die, welche dem Künstler seinen Rang neben dem Handwerksmann anweisen, die Natur und den Zweck der Künste gänzlich. Nur wahrhaftig große Geister können große Künstler sein.
Zu diesen Gaben, Fähigkeiten und Kenntnissen, muss nun noch das eigentliche Studium der Kunst und die Fertigkeit der Ausübung hinzukommen. Die Erlernung der Kunst trägt vielleicht zu Stärkung des Genies wenig bei, aber die Ausübung macht doch alle Fähigkeiten zu Fertigkeiten; deswegen ist eine beständige und tägliche Übung dem Künstler höchst nötig. Darum ist die Maxime, die man dem Apelles zuschreibt, keinen Tag ohne einige Striche zu machen, vorbei gehen zu lassen, sehr gut. Man wird in der Geschichte der Künstler fast durchgehends finden, dass vorzüglich große Künstler auch die größte Arbeitsamkeit gehabt haben. Mit dieser Arbeitsamkeit und täglichen Übung in dem Mechanischen der Kunst, muss auch ein anhaltendes Studium der besten Kunstwerke verbunden werden. Dieses hilft dem Genie am meisten zu seiner völligen Entwicklung, weil es eigentlich nichts anders als eine beständige Übung desselben ist.8
Dem Künstler ist zu raten, dass er seinen Ruhm nicht auf seine Talente, sondern auf den edlen und großen Gebrauch derselben stütze. Er kann, wie wir anderswo9 deutlich gezeigt haben, seiner Nation die wichtigsten Dienste leisten, die von menschlichen Gaben zu erwarten sind. Er kann sich so viel Ehr erwerben als der Feldherr oder als der Verwalter der Gerechtigkeit oder als der die Menschen erleuchtende Philosoph. Weh ihm, wenn er sich selbst durch unbedeutende oder gar niedrige Werke, dieser Ehre beraubet!
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1 S. Einbildungskraft.
2 S. Begeisterung.
3 S. Schön.
4 S. Klein.
5 S. Kraft.
6 S. Die Alten.
7 Er lenkt die Gemüter durch sein Zureden, u. besänftiget die Wut der Leidenschaft.
8 S. Studium.
9 Im Artikel Künste.