Künste - Höhepunkt der Kunst der Antike
Damit wir uns einen bequemen Standort bereiten, aus welchem wir eine freie Aussicht über den gegenwärtigen Zustand der schönen Künste haben, müssen wir wieder zu allgemeinen Betrachtungen über ihre Natur und Anwendung zurückkehren.
Wir haben gesehen, was sie in ihrer vollen Kraft sein können. Die eigentlichsten Mittel, die Gemüter der Menschen mit Zuneigung für alles Schöne und Gute zu erfüllen, – die Wahrheit wirksam zu machen und der Tugend Reizung zu geben, – den Menschen zu jedem Guten anzutreiben und von allen schädlichen Unternehmungen zurück zu halten – und überhaupt ihm, wenn er einmal durch die Vernunft hinlänglich von seinem wahren sittlichen Interesse unterrichtet worden, jede Kraft zu unaufhörlicher Bewirkung desselben in seine Seele zu legen.
Dass sie jemals unter irgend einem Volke diese Vollkommenheit erreicht haben, kann mit Gewissheit nicht behauptet werden; dass aber eine Zeit gewesen sei, wo sie sich derselben genähert haben, scheint gewiss. Die Griechen hatten von den schönen Künsten den richtigen Begriff, dass sie zu Bildung der Sitten und zu Unterstützung der Philosophie und selbst der Religion dienen. Darum ließen sie es auch an Aufmunterung der Künstler durch Ehre, Ruhm und andere Belohnung, nicht ermangeln. In einigen griechischen Staaten war der größte Redner oft der Mann, der mit der höchsten Würde des Staats bekleidet wurde. Die Gesetzgeber und Regenten sahen große Dichter als wichtige Personen an, die den Gesetzen selbst Kraft geben könnten. Homer wurde für den besten Ratgeber des Staatsmannes und des Heerführers und für den besten Hofmeister des Privatmannes angesehen und in dieser Absicht schrieb Lykurgus die zerstreuten Gesänge dieses Dichters in Kreta zusammen. Eben dieser Gesetzgeber gewann den Dichter und Sänger Thales, dass er aus dieser Insel mit ihm nach Sparta zog und dort durch seine Gesänge die Gesetzgebung erleichterte [Plutarchus im Lykurgus]. Die Alten, sagt ein griechischer Philosoph [Strabo Lib. I] hielten dafür, dass die Dichtkunst einigermaßen die erste Philosophie sei, die uns von Kindheit an den Weg zu einem richtigen Leben weise und auf eine angenehme Weise Sitten, Empfindungen und Taten lehre,19 die unsrigen aber (die Pythagoräer) lehren, dass allein der Dichter der wahre Weise sei.« Daher haben auch die Griechen ihre Kinder zuerst in der Dichtkunst unterrichten lassen.
Keinesweges zur Belustigung, sondern zur Bildung des Gemütes. Dieses Verdienstes rühmen sich auch die Tonkünstler – sie halten sich für Lehrer und Verbesserer der Sitten – darum nennt auch Homer die Sänger Hofmeister. Überhaupt kann man von den Griechen sagen, was ein Römer vielleicht mit weniger Recht von seinen Vorältern rühmet, dass sie alle Künste zum gemeinen Besten angewendet haben [Nullam majores nostri artem esse voluerunt, quae non aliquid reipublicae commodaret. Servius ad Äneid. L. VI].
Aber von der Ehre, dem Ruhme und den großen Belohnungen, die in Griechenland allen rechtschaffenen Künstlern zu Teil geworden, sind die Nachrichten in den Schriften der Alten so bekannt, dass es unnötig ist hier besondere Fälle anzuführen.*) Man brauchte sie jede Feierlichkeit, jede öffentliche Veranstaltung, jedes wichtige öffentliche Geschäft zu unterstützen. Die öffentlichen Beratschlagungen, die durch Gesetze verordneten feierlichen Lobreden auf Helden und auf Bürger, die ihr Leben im Dienste des Staats verloren hatten, die öffentlichen Denkmäler, womit große Taten belohnt wurden, die große Menge religiöser Feste, die mit so viel Zeremonien begleitet waren und die Schauspiele, die zu einigen dieser Feste gehörten und auf die von Seiten der Regierung so viel Sorgfalt gewandt und so großer Aufwand gemacht worden; alles dieses verschaffte den Künstlern Gelegenheit, ihr Genie und die Kraft der schönen Künste auf die Gemüter der Menschen in voller Wirkung zu zeigen. Es wurden Gesetze gemacht, um den guten Geschmack zu befördern, das Einreißen des schlechten Geschmacks und die noch schädlichere Übertreibung des Feinen zu hemmen [s. Baukunst, 1 Teil, auch Musik].
Eben so aufmerksam waren auch die Hetrusker, den Einfluss der Künste auf die Sitten zu befördern. Wir wissen zwar wenig von den politischen Verfassungen dieses durch die Römer vernichteten Volks. Aber die mannichfaltigen Überbleibsel der hetruskischen Künste, beweisen hinlänglich, wie unmittelbar sie in alle Verrichtungen des gemeinen Lebens verwebt gewesen sein. Man gerät dabei auf die Vermutung, dass auch der gemeine Mann in seinem Hause kaum etwas vor sich gesehen oder in die Hand genommen habe, das nicht durch den Einfluss der zeichnenden Künste ihn auf eine nützliche Weise an seine Götter und an seine Helden erinnert und das nicht seiner Religion und seinen patriotischen und Privatgesinnungen einen vorteilhaften Stoß gegeben hätte.
So war es mit den schönen Künsten in den goldenen Zeiten der griechischen und hetruskischen Freiheit beschaffen. Aber, so wie sich allmählich die edeln Empfindungen für den allgemeinen Wohlstand verloren, wie die Regenten und Vornehmen ihr Privatinteresse von den Angelegenheiten des Staats absonderten als Liebe zum Reichtum und Geschmack an einer üppigen Lebensart die Gemüter geschwächt hatten; wurden die schönen Künste von dem öffentlichen Dienste des Staats abgerufen, bloß als Künste der Üppigkeit getrieben und allmählich verlohr man ihre Würde aus dem Gesichte. Es ist für das Beispiel unserer Zeiten wichtig, dass dem Leser der erstaunliche Mißbrauch, den die ausgearteten Griechen von den schönen Künsten gemacht haben, vor Augen gelegt werde. Da ich die Versuchung fühle darüber weitläufiger zu sein als es sich hier schicken würde, will ich mich begnügen, nur eine allgemeine Abschilderung davon, die ein verständiger Engländer verfertigt hat, zu geben [s. Temple Stanyan's Gesch. von Griechenl. III. Buch 3 Kap.]. »Da die Athenienser, sagt er, sich von dem Feinde, der sie so sehr in Atem gehalten hatte [Von dem Epaminondas], befreit sahen, überließen sie sich dem Genusse der Ergötzlichkeiten und dachten an nichts als an Spiel und Feste. Dieses trieben sie bis zur größten Ausschweifung und für die Schaubühne hatten sie eine Leidenschaft, die alle Staatsgeschäfte hemmte und alle Empfindung des Ruhms erstikte. Dichter und Schauspieler genossen allein die Gunst des Volks und ihnen gab man den frohlokenden Beifall und die Hochachtung, die denen gebührte, die ihr Leben zur Verteidigung der Freiheit gewagt hatten. Die Schätze, die zum Unterhalt der Flotte und der Heere bestimmt gewesen, wurden auf Schauspiele verwandt. Tänzer und Sängerinnen führten das wollüstigste Leben, da die Heerführer darbten und auf ihren Schiffen kaum Brod, Käse und Zwiebeln hatten. Der Aufwand auf die Schaubühne war so groß, dass nach dem Berichte des Plutarchus die Vorstellung eines Trauerspiels vom Sophokles oder Euripides, dem Staate mehr gekostet hat als der Krieg gegen die Perser. Dazu nahm man den Schatz, der einige Zeit zuvor als ein Heiligtum für die äußerste Notdurft des Staates, mit dem Gesetze der Todesstrafe für den, der sich unterstehen würde, eine Veräußerung desselben anzutragen, zurück gelegt worden.«
Was also in seinem Ursprunge bestimmt war, die Gemüter der Menschen mit patriotischer Kraft zu erfüllen, diente jetzt den Müßigang zu befördern und jeden auf das allgemeine Beste gerichteten Gedanken zu unterdrücken. Bald danach hatten die Großen Künstler um sich, wie sie Köche um sich hatten; die Künste, die vorher stärkende und heilende Arzeneien für die Gemüter zubereitet hatten, mussten nun Schminke und wohl riechende Salben bereiten. Und in diesem Zustande trafen die Römer die schönen Kün ste in Griechenland und in Ägypten an als sie diese Länder eroberten; darum behielten sie diesen Geist auch danach in Rom. In den goldenen Zeiten der Kunst, gab der edle Gebrauch derselben dem Künstler Würde; Sophokles, ein Dichter und Schauspieler, war zugleich Archon in Athen: aber schon zu Cäsars Zeit hielte sich ein Römischer Ritter mit Recht für gebrandmarkt, da er sich auf dem Theater zu zeigen gezwungen wurde [s. Aul. Gell.].
Wenn man die schwachen Versuche ausnimmt, die Augustus machte, die Künste wieder zu ihrer edlern Bestimmung zurück zu führen, wovon wir an Virgil und Horaz die Proben noch haben, so fielen sie unter seinen Nachfolgern in die tiefste Erniedrigung. Unter Nero war der Beruf eines Dichters oder Tonkünstlers oder Schauspielers nicht viel edler als der Beruf eines Seiltänzers. Und so verschwand in Griechenland und Rom die Würde der schönen Künste allmählich aus dem Gesichte der Menschen. Der Liebe zur Pracht und Üppigkeit ist man in den neueren Zeiten die Wiederherstellung der schönen Künste selbst schuldig; und man wird schwerlich finden, dass ihre neuen Beschützer und Beförderer jemals aus wahrer Kenntnis ihres hohen Wertes, etwas zu ihrer Vervollkommnung und Ausbreitung getan haben. Darum sind sie noch gegenwärtig ein bloßer Schatten dessen, was sie sein könnten. Überhaupt sind ihnen nach den heutigen Verfassungen viel von den ehemaligen Gelegenheiten, ihre Kraft zu zeigen, benommen. Unsern politischen Festen fehlt die Feierlichkeit, wobei die Künste sich in ihrem besten Lichte zeigen könnten. Selbst unsere gottesdienstlichen Feste fallen nicht selten sehr ins kleine. Es geschieht bloß zufälliger Weise, dass der ursprünglichen Bestimmung der schönen Künste bei gottesdienstlichen Festen etwas übrig geblieben ist. Die Art aber, wie es geschieht, verrät doch allemal ein gänzliches Verkennen ihres wahren Zwecks. Gelingt es einem Künstler, welches nur gar zu selten geschiehet, ein Werk zu machen, in dem die wahre Kraft der Kunst sich zeigt, so ist es mehr eine Wirkung seines zufälliger Weise von Vernunft geleiteten Genies als die Absicht, auf die er durch die geleitet worden, die ihm das Werk aufgetragen haben. Also kommen die Künste bei öffentlichen Feierlichkeiten wenig in Betrachtung.
Dann scheint es auch, dass man überhaupt von ihrer Wichtigkeit und ihrer Anwendung die wahren Begriffe verloren habe. Der deutlichste Beweis hiervon ist die so gar unüberlegte Wahl der zu bearbeitenden Materien. Auf unseren Schaubühnen sieht man hundertmal den Apollo, die Diana, den Oedipus, Agamemnon und andere erdichtete oder uns vollkommen gleichgültige Götter oder Helden, gegen einen, dem wir etwas zu danken haben. Man weiß dem Maler eben so viel Dank, wenn er eine abgeschmackte und nicht selten auf Verderbnis der Sitten abzielende Anekdote aus der Mythologie mahlt als wenn er einen edlen Innhalt gewählt hätte; wenn nur die Arbeit gut ist; und so denkt man auch über andere Zweige der Kunst. Sogar in den Kirchen – Was sind die meisten Gemälde der Römischen Kirche anders als eine andächtige Mythologie, die vielleicht im Grunde noch mehr gegen die gesunde Vernunft streitet als die heidnische?
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*) Eine Menge hierher gehöriger Anekdoten hat Junius gesammelt. Man sehe besonders in seinem Werke de Pictura Veterum das XIII. Kap. des II. Buches.