Kunst; Künstlich. Man braucht diese Wörter oft, um in den Werken des Geschmacks dasjenige auszudrücken, was bloß von der Ausübung der Kunst abhängt, das ist, was zur Darstellung des Werks gehört. An verschiedenen Orten dieses Werks ist angemerkt worden, dass jedes Werk des Geschmacks aus einem Urstoff bestehe, der einen von der Bearbeitung der Kunst unabhänglichen Wert habe und dass dieser Urstoff durch das, was die Kunst daran tut, desto tüchtiger werde die Einbildungskraft lebhaft zu rühren und dadurch die Wirkung zu tun, die der Künstler zur Absicht hatte. Darum unterscheidet man sowohl in dem Künstler als in seinem Werke die Natur von der Kunst. Dass ein Mensch in seinem Kopfe Vorstellungen bilde, die wert sind anderen mitgeteilt zu werden, ist eine Wirkung der Natur oder des Genies; dass er aber diese Vorstellungen durch Worte oder andere Zeichen so an den Tag lege, wie es sein muss, um andre am stärksten zu rühren, ist die Wirkung der Kunst.
Im Grund ist sie nichts anders als eine durch Übung erlangte Fertigkeit, dasjenige, was man sich vorstellt oder empfindet, auch anderen Menschen zu erkennen zu geben oder es sie empfinden zu lassen. Man kann ohne ein Maler zu sein, die vortreflichsten Bilder in der Phantasie entwerfen und sie im schön sten Licht und in den reizendsten Farben sehen; aber nur die Kunst kann solche Bilder äußerlich darstellen. Darum werden zur Bildung eines Künstlers zweierlei Dinge erfordert; Natur oder welches hier gleichbedeutend ist, Genie, das den Urstoff des Werks innerlich bildet und Kunst, um denselben an den Tag zu bringen.
Aber auch zu dem, was bloß der Kunst zugehört, werden gewisse Naturgaben erfordert. Nicht jeder, der sich eine gehörige Zeitlang in Darstellung der Dinge geübet und die Regeln der Kunst erlernt hat, wird ein guter Künstler. Um es zu werden, muss er auch das besondere Kunstgenie, das ist die Tüchtigkeit besitzen, das was zur Ausübung gehört, leicht und gründlich zu lernen. Ein Mensch hat vor dem anderen natürliche Fähigkeit gewisse Dinge, die von Regeln und von der Übung abhangen, leicht auszuüben. Dieser hat alsdann ein Kunstgenie.
Horaz sagt: man habe die Frage aufgeworfen, ob ein Gedicht (man kann die Frag auf jedes andere Werk der Kunst anwenden) durch Natur oder durch Kunst schätzbar werde:
Natura fieret laudabile carmen an arte
Quæsitum est.
Er antwortet darauf, dass beides zusammen kommen müsse; eine Entscheidung die nicht kann in Zweifel gezogen werden.
Man trift oft Werke der Kunst an, wo nur Kunst, andre, wo nur Natur herrscht; aber solche Werke sind nie vollkommen. Man kann eine Menge holländischer Maler nennen, die die Kunst in einem hohen Grad der Vollkommenheit besessen haben, denen aber die Natur, das Genie große Vorstellungen in der Phantasie zu bilden, versagt hat. Ihre Werke find als bloße Kunstsachen vollkommen; dienen aber weiter zu nichts als zur Bewunderung der Kunst. Im Gegenteil sieht man auch oft Dichter und Tonsetzer, die das Genie haben, vortrefliche Gedanken zu bilden, ob es ihnen gleich an der Kunst fehlt, sie vollkommen auszudrücken; ihr Ausdruck ist unharmonisch und hart.
Werke an denen sich die Kunst in einem beträchtlichen Grad zeigt, darin man aber die Natur vermißt, werden bloß künstliche Werke genannt. Sie können gefallen; denn es ist doch allemal eine Art der Vollkommenheit, genau nach Kunstregeln zu handeln. So hat man Ursache ein Blumen- oder Fruchtstück, das der Maler bloß nach der Natur copirt hat, zu bewundern, wenn es das Urbild vollkommen ausdrückt. Zu dieser vollkommenen Darstellung eines in der Natur vorhandenes Gegenstandes gelangt doch kein Künstler bloß durch Befolgung der Kunstregeln; er muss notwendig das Genie seiner Kunst besitzen.
Es gibt auch Werke die so bloß Kunst sind, dass auch nicht einmal das besondere Künstlergenie dazu erfordert wird; die bloß durch Ausübung deutlicher Regeln, die jeder Mensch lernen kann, ihre Wirklichkeit erlangen. So ist eine nach allen Regeln der Perspektive gemachte Zeichnung, darin nichts als gerade Linien vorkommen. Diese kann jeder Mensch machen, der sich die Mühe gibt die Regeln genau zu lernen und zu befolgen. Dergleichen Werke machen ohne Zweifel die unterste Klasse der Kunstwerke aus; oder vielmehr gehören sie gar nicht mehr zu den Werken der schönen Künste, weil sie bloß mechanisch sind. Die schönen Künste erkennen eigentlich nur die Werke für die ihrigen, deren bloße Darstellung oder Bearbeitung, Genie und Geschmack erfordert, weil sie nicht nach bestimmten Regeln kann verrichtet werden. So kann z.B. kein Maler ohne Genie und Geschmack ein guter Koloriste werden.
Bei Vergleichung der Natur und der Kunst kann man bemerken, dass dasjenige, was man bloß der Natur zuschreibt, sich in einem Werke findet, ohne dass der Grund, warum es da ist, erkennt wird; die Kunst aber handelt aus Überlegung und erkennt die Gründe nach denen sie handelt. Der Künstler, der in dem Feuer der Begeisterung seine Arbeit entwirft, findet jeden einzelnen Teil des Werks, ohne ihn lange zu suchen; die Gedanken drängen sich in seinem Kopf und bieten sich an Ort und Stelle von selbst dar [s. Begeisterung]; der Entwurf wird fertig und ist oft vortreflich, ohne dass der Künstler die Gründe kennt, aus denen er gehandelt hat. Dies ist Natur.
Wenn er nun aber danach mit kalter Überlegung seinen Entwurff wieder betrachtet; wenn er die Beschaffenheit des Ganzen und der einzelnen Teile überlegt und dabei findet, dass dieses oder jenes aus ihm bewußten Gründen anders sein müste, um dem Werk eine größere Vollkommenheit zu geben und diesem zufolge die Änderung macht; so ist dieses Kunst. Je mehr Erfahrung und Übung der Künstler mit seinem Genie verbindet, je leichter entdeckt er die Mängel des bloß durch Genie entworfenen Werks. Also gibt die Kunst ihm die wahre Vollkommenheit, auch schon ohne Rücksicht auf seine äußerliche Darstellung. Das Gemälde das nur noch in der Phantasie des Malers liegt, hat schon die Wirkungen der Kunst erfahren, wenn Teile darin sind, die er aus Überlegung und Bewußtsein gewisser Regeln hineingebracht hat.
Über dieses Verfahren der Kunst gibt man die Regel, dass es so viel wie möglich müsse versteckt werden. Dies heist so viel, als: dass die durch Kunst in das Werk gebrachten Sachen, wie die anderen den Charakter und das Ansehen der Natur haben müssen. Diejenigen, welche das Werk betrachten müssen das, was die Kunst darin getan hat, von dem anderen nicht unterscheiden können, sie müssen nirgend den Künstler erblicken, damit die Aufmerksamkeit allein auf das Werk gerichtet werde; denn nur in diesem Falle tut es seine volle Wirkung. Wir bewundern einen Laocoon, weil wir bloß seine Gestalt, seine Stellung, sein Leiden und die äußerste Bestrebung seiner Kräfte erblicken. Sollten wir bei dem Anblick dieses Werks nur etwas von den vielfältigen Bemühungen des Künstlers, seine mühesamen Veranstaltungen, jeden Teil dieses wunderbaren Werks im Marmor darzustellen, gewahr werden; so würde die Aufmerksamkeit von dem Werk abgezogen und der reine Genuß desselben durch Nebenvorstellungen gestört werden. Horaz sagt von den Erdichtungen, sie müssen der Wahrheit so nahe kommen als möglich: ficta sint proxima veris; und so muss man von dem, was die Kunst tut, sagen, dass es der Natur völlig gleiche.
Die Franzosen nennen gewisse Wörter in gekünstelten Versen, die nicht notwendig zum Sinne gehören, sondern bloß da sind, um dem Vers seine mechanische Vollkommenheit zu geben, des cheuilles; Nägel um den Vers zusammen zu halten. Dergleichen Nägel und andere zum Gerüste des Kunstgebäudes gehörigen Dinge hat zwar jeder Künstler zu seiner Arbeit nötig; aber in dem vollendeten Werke, muss alle Spur derselben ausgelöscht sein. Dieses ist oft sehr schwer: Darum sagt man, es sei die größte Kunst, die Kunst zu verbergen. Dieses hat selbst Vir gil in der Äneis nicht überall zu tun vermocht. Aber in der ganzen Ilias wird man schwerlich irgendwo die Kunst des Dichters entdecken. Überall sieht man nur die Gegenstände, die er mahlt und hört nur die Personen die er redend einführt. So wird man selten in dem wunderbaren Kolorit eines Titians oder van Dyks die Spur der Kunst gewahr, die man in Rembrandts Stücken fast überall entdeckt.
Nirgend ist es wichtiger die Kunst zu verbergen als im Drama und besonders in der Vorstellung desselben; und doch wird auch von sehr guten Dichtern und Schauspielern nur gar zu oft gegen eine so wesentliche Regel gefehlet. Doch hiervon wird an einem anderen Orte ausführlicher gesprochen werden [im Art. Natur].
Bisweilen trift man Werke der Kunst an, die so ganz Kunst sind, dass man die Natur darin vermißt. Man fühlt die Mühe und (wenn dieses zu sagen erlaubt ist) riecht beinahe den Schweiß, den es dem Künstler ausgetrieben hat. Man sieht gleichsam das Recept, das er vor sich gehabt hat, um einen Teil nach dem audern mit Mühe zusammen zu setzen.
Dieses begegnet den Künstlern ohne Genie, die bloß die Regeln studiert haben und die in der Arbeit von keinem innerlichen Trieb unterstützt werden. Anstatt der Begeisterung, die alles leicht und fließend macht, fühlt man bei ihren Werken die Marter die sie ausgestanden, die Teile des Werks zusammen zu bringen.
Der beste Rat, den man dem Künstler geben kann, den Zwang der Kunst zu verstecken ist dieser: dass er zum Entwurff seines Werks die Stunde der Begeisterung erwarte und zur Ausarbeitung desselben sich hinlängliche Zeit nehme. Denn gar oft macht die Eil, dass man sich mit der Kunst aus der Not hilft, da man bei längerem Nachdenken natürliche Auswege würde gefunden haben.