Kraft - Kraft des Schönen


Die zweite Art der ästhetischen Kraft liegt in dem Schönen. Was wir unter diesem Namen verstehen, ist an seinem Orte nachzusehen [s. Schön]. Es ist ein Gegenstand der sinnlichen und confusen Erkenntnis und erweckt unmittelbar und auf eine fast unerklärliche Weise, Vergnügen. Vornehmlich liegt es in den Gegenständen des Gesichts und des Gehörs; es sei, dass sie sich unmittelbar oder durch die Einbildungskraft uns dar stellen: überhaupt aber hat es in allen Dingen statt, in denen eine Anordnung, es sei nach Zeit oder Raum ist; weil in der Anordnung Annehmlichkeit statt hat. So kann die Fabel einer sonst unbedeutenden Handlung auf eine so vorteilhafte Weise angeordnet sein, dass sie dadurch allein schon gefällt.

Das Schöne wirkt auch in dem gemeinesten Grad Wohlgefallen an der Sache. Und weil die Werke der schönen Künste ihrer Natur nach, sowohl im Ganzen als in ihrem einzelnen Teilen sich uns in wohl gefälliger Gestalt darstellen müssen, so muss jedes Werk sowohl im Ganzen als in einzeln Teilen Schönheit haben; weil es sonst seines Zwecks, den es in Absicht auf dem Inhalt hat, ganz oder zum Teil verfehlt. Ein hoher Grad des Guten kann freilich die volle Wirkung auf uns tun, wenn ihm gleich das Kleid des Schönen fehlt: aber es ist doch dem Zweck der schönen Künste gemäß, dass auch das Gute mit Schönheit bekleidet werde.

Diese Art der Kraft muss also in allen Teilen der Werke des Geschmacks liegen, so wie die Vollkommenheit in allen Teilen, die sich auf die deutliche Kenntnis beziehen. Alles was gesagt, gezeichnet, gemalt oder auf irgend eine Art in den schönen Künsten dargestellt wird, muss eine Art der Schönheit haben, wodurch es wenigstens gefällig wird. Also ist die in dem Schönen liegende Kraft die allgemeineste, die man in den Künsten überall antreffen muss. Alles Unangenehme, wodurch wir verleitet, würden einem Gegenstand unsere Aufmerksamkeit zu entziehen, muss darin vermieden werden.

Vorzügliche Schönheit aber, die einen höheren Grad des Wohlgefallens oder Vergnügens an einem Gegenstand erwecken, müssen die Teile haben, auf die das Wesentliche ankommt. Und vor allen Dingen muss das Vollkommene und das Gute in vollem Reiz der Schönheit erscheinen, um dadurch noch angenehmer und erwünschter zu werden. Selbst das Böse, wofür der Künstler uns Abscheu erwecken will, muss sich, dem Äusserlichen nach, in einer Gestalt zeigen, die unser Auge anloket, damit wir es lebhaft zu erkennen gezwungen werden. Wenn wir ihm unsere Aufmerksamkeit entzögen, ehe wir es ganz erkennt hätten, so würde der Künstler seines Zwecks verfehlen. Darum muss auch das Laster mit den lebhaftesten Farben geschildert werden. Nicht dass ihm seine innere Hässlichkeit benommen werde; sondern, dass es für die Aufmerksamkeit, die nötig ist, es kennen zu lernen, nichts abschreckendes habe. Darum hat Milton den bösesten Wesen, die er uns zum Abscheu schildert, noch die äussere Schönheit gelassen. Aber dem Laster ein durchaus reizendes Wesen zu geben, wie mehr als ein Dichter und Maler getan hat, heißt wieder den Hauptzweck der schönen Künste handeln.

Die Kraft des Schönen bewirkt also zuerst ein Wohlgefallen an der Vorstellung der Sache und durch dieses wird schon ein Werk der Kunst in gewissem Sinn interessant, dass wir uns der Wirkung der übrigen darin liegenden Kräfte desto sicherer überlassen. Dieses ist der erste und allgemeineste Nutzen dieser Art der Kraft. Hernach hat das Schöne auch bei sonst gleichgültigen Gegenständen allemal noch eine vorteilhafte Wirkung, dass es überhaupt unsere Art zu empfinden verfeinert. Man kann ohne feinen Geschmack ein Liebhaber des Wahren und des Guten sein; aber mit Geschmack ist man es lebhafter. Der sonst gute Mensch, der roh und ohne Geschmack ist, verdient unsere Hochachtung; aber er wird weit nützlicher und für sich selbst auch glücklicher, wenn diese guten Eigenschaften mit feinen Sitten und mit schönem Anstand begleitet sind. Dieses gehört unstreitig mit zu der menschlichen Vollkommenheit.

Deswegen sind auch die bloß angenehmen Werke der schönen Künste, die einen an sich gleichgültigen Stoff schön bearbeitet darstellen, schon schätzbar. Nur muss man sie mit den großen Hauptwerken, darin ein auch an sich wichtiger Stoff schön behandelt wird, nicht in einen Rang setzen. Ein schöner gesellschaftlicher Tanz, ist immer etwas artiges und es kann seinen guten Nutzen haben, wo dergleichen mit Geschmack verbundene Lustbarkeiten vorkommen; aber man muss ihm nicht die Wichtigkeit eines feierlichen mit Musik begleiteten Aufzuges beilegen; und das schönste Blumenstück eines de Heem muss nicht mit einem historischen Gemälde Raphaels in eine Linie gesetzt werden.


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