Baukunst. Wir betrachten hier die Baukunst nur insofern der Geschmack einen Anteil daran hat; das mechanische darin, obgleich jeder Baumeister dasselbe genau verstehen muss, gehört nicht hierher. Dieses, nebst dem wissenschaftlichen, das der Baumeister aus der Mathematik schöpfen muss, davon abgesondert, so bleibt noch genug übrig, um dieser Kunst einen Rang unter den schönen Künsten zu geben. Das Genie, wodurch jedes gute Werk der Kunst seine Wichtigkeit und innerliche Größe oder die Kraft bekommt, sich der Aufmerksamkeit zu bemächtigen, den Geist oder das Herz einzunehmen; den guten Geschmack, wodurch es Schönheit, Annehmlichkeit, Schicklichkeit und überhaupt einen gewissen Reiz bekommt, der die Einbildungskraft fesselt; diese Talente muss der Baumeister so gut als jeder anderer Künstler besitzen. Eben der Geist, wodurch Homer oder Raphael groß worden, muss auch den Baumeister beleben, wenn er in seiner Kunst groß sein soll. Alles, was er, durch diesen Geist geleitet, hervor bringt, ist ein wahres Werk der schönen Künste. Die Notdurft, zu deren Behuf ein Gebäude aufgeführt wird, bestimmt dessen Hauptteile; durch mechanische und mathematische Regeln bekommt es seine Festigkeit; aber aus Sachen, die die Notdurft erfunden, ein Ganzes zusammen zu setzen, das in allen seinen Teilen jedes Bedürfnis unserer Vorstellungskraft befriediget; dessen überlegte Betrachtung den Geist beständig in einer vorteilhaften Wirkung erhält; das durch sein Ansehen Empfindungen von mancherlei Art erweckt; das dem Gemüte Bewunderung, Ehrfurcht, Andacht, feierliche Rührung einprägt; dieses sind Wirkungen des durch Geschmack geleiteten Genies; und dadurch erwirbt sich ein großer Baumeister einen ansehnlichen Rang unter den Künstlern.
Wie diese Kunst in ihren Ursachen so edel als irgend eine andere ist; so kann sie auch ihren Rang durch ihre Wirkungen behaupten. Woher hat der Mensch überhaupt seine Begriffe von Ordnung, von Schönheit, von Harmonie und Übereinstimmung, gewiss nützliche und wichtige Begriffe; woher hat er die ersten Empfindungen von Annehmlichkeit, von Lieblichkeit, von Bewunderung der Größe und selbst von Ehrfurcht für höhere Kräfte als aus überlegter Betrachtung körperlicher Gegenstände, die der Bau der Welt ihm vor Augen stellt? Sieht man nicht, dass der erste Anwachs der menschlichen Vollkommenheit, der Schönheit, Annehmlichkeit, Bequemlichkeit und anderen vorteilhaften Eindrücken der Gegend, die man bewohnt, zuzuschreiben sei? Und trägt nicht ein elendes, von allen Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten entblößtes Land, das meiste zu der elenden Barbarei und dem viehischen Zustand seiner Einwohner bei? wenn dieses nicht kann geleugnet werden, so kann man auch der Baukunst, die jeden nützlichen Eindruck, den die Schönheit einer Gegend machen kann, auch durch ihre Veranstaltung, nach einer anderen Art, hervor bringt, den Nutzen zur Kultur des Geistes und des Gemütes nicht absprechen.
Wer irgend einen Geschmack an Ordnung, Schönheit und Pracht in bloß körperlichen Gegenständen hat, der lese die Nachricht, welche Pausanias von Athen gibt und überlege danach, was für Wirkungen es auf einen Athenienser müsse gehabt haben, in einer solchen Stadt zu wohnen. Der würde gewiss eine geringe Kenntnis der menschlichen Natur verraten, der nicht begreifen könnte, wie viel vorteilhafte Wirkung auf die Veredlung des Menschen dergleichen Gegenstände haben können. Ist die Nation, die in den besten Gebäuden wohnt, nicht eben die vollkommenste und gibt es in Ländern, wo nur elende Hütten sind, Menschen, die nichts weniger als barbarisch sind; so folgt daraus nicht, dass jene nicht viel gutes an sich haben, das sie in anderen Wohnungen nicht haben würden; und dass diese nicht noch vollkommener sein würden, wenn sie den guten Einfluss dieser Kunst auch empfunden hätten. So wenig man indessen sagen kann, dass die Baukunst eben die wichtigste Kunst zur Kultur des Menschen sei, so wenig kann man ihr den Anteil, den sie nebst anderen Künsten an dieser allein wichtigen Sache hat, ganz absprechen.
Inhalt:
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Vergleiche ferner:
- (Hegel, Vorl. z. Ästhetik):
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