Bewegung. (Schöne Künste) Ist einer der Gegenstände der schönen Künste, so wie der Ton, die Farben und die Figur. Die Tanzkunst gründet sich größtenteils auf Bewegung, die Musik ahmt sie glücklich nach und in den zeichnenden Künsten kommt viel schönes von der Vorstellung der Bewegung her. Das eigentümliche der Bewegung sind die verschiedenen Grade des langsamen und geschwinden und darin allein liegen schon Gründe, wodurch die Bewegung der Schönheit fähig wird; weil darin Mannigfaltigkeit und Abwechslung bei der Einförmigkeit stattfindet. Wir haben an einem anderen Orte (Takt) angemerkt, wie aus der bloßen Bewegung etwas entstehen kann, das mit dem taktmäßigen Gesang einige Ähnlichkeit hat. Wenn man in der Bewegung ein gewisses Zeitmass zur Einheit annimmt, so sind die Grade der Geschwindigkeit, wie Glieder eines Ganzen anzusehen; die Zeit in welcher die Bewegung geschieht und der Raum durch welchen sie geschieht, können als das Ganze angesehen werden, welches aus sehr mannigfaltigen verbundenen Teilen besteht und also der Schönheit fähig ist.
Alle Handlungen der Seele führen den Begriff der Bewegung mit sich; nicht nur die, welche wir Gemütsbewegungen nennen, sondern auch Handlungen ohne Leidenschaft. Daher kann die Bewegung zum Zeichen oder Ausdruck dessen gebraucht werden, was in der Seele vorgeht. Hierin liegt der Grund eines großen Teils der Kunst die Leidenschaften und andere Gemütsfassungen durch den Takt in der Musik und in dem Tanz auszudrücken.
Es ist aber hierbei anzumerken, dass die Bewegung allemal den Begriff der Figur mit sich führe. Denn da sie notwendig nach gewissen Linien geschieht, so kann eine sehr veränderte Bewegung, den Begriff einer mannigfaltigen Figur erwecken. Eben so kann im Gegenteil die bloße Figur den Begriff der Bewegung erwecken, aus der sie entstanden ist oder entstehen kann.
Aus diesem lässt sich begreifen, wie in der Bewegung gar mannigfaltige Schönheiten liegen können, wie der Begriff derselben in uns erweckt werde, wie folglich durch das Anschauen der Bewegung Lust und Unlust, Empfindungen und Leidenschaften können hervorgebracht werden. Die Theorie, welche das Schöne in der Bewegung überhaupt untersuchte, wäre die allgemeine Tanzkunst, wovon die besondere Kunst des Tanzens und so gar ein Teil der Tonkunst, nur besondere Anwendungen wären. Die schöne Bewegung ist von der schönen Figur nur darin unterschieden, dass hier die Teile auf einmal neben einander sind, dort aber nach und nach auf einander folgen. Die schöne Bewegung ist eine sich beständig ändernde schöne Figur.
Damit wir die Schönheit der Bewegung deutlicher und richtiger erkennen, dürfen wir uns nur ein System verschiedener verbundenen Körper vorstellen, deren jeder seine eigene Bewegung hat, sich mit eigener Geschwindigkeit nach eigenen Linien und nach eigenen Richtungen bewegt. Man wird begreifen, dass bei der Einheit eines solchen Systems eine sehr große Mannigfaltigkeit möglich sei. Setzen wir nun noch hinzu, dass diese Körper an Größe und Figur so verschieden seien als an Bewegung, so bilden sich Begriffe von der höchsten Schönheit, die aus Bewegung und Figur zugleich entstehen.
Hierin liegt der eigentliche Grund, der uns die Tanzkunst, unter die schönen Künsten zählen macht. Denn da ist das Schöne der Figur und Bewegung vereinigt. Wir können ohne Untersuchung und Nachdenken uns von der großen Macht der mit Bewegung verbundenen Figur überzeugen, wenn wir jemahls den Reiz einer vollkommenen Tänzerin und anderseits das Abscheuliche in gewissen kramfigten Bewegungen eines schon an sich mißgeborenen Körpers empfunden haben. Es gibt Menschen, die von Natur aufgelegt sind, immer die angenehmsten, reizendsten Stellungen und Bewegungen aller Gliedmaßen zu treffen; alles lenkt sich bei ihnen nach dem besten Geschmack. So müssen vollkommene Redner und voll kommene Schauspieler gebildet sein. Hingegen gibt es auch lebende Mißgebuhrten, die etwas so gar widriges, ekelhaftes oder fürchterliches in der Verziehung der Gliedmaßen an sich haben, dass man sie nur einmal sehen darf, um danach auf immer bei jedem erneuerten Andenken derselben, Furcht oder Ekel zu empfinden. Gewisse elende Menschen erwecken unser Mitleiden durch wenige Gebärden weit lebhafter als die beweglichste Rede tun würde. Dieses soll jeden Künstler auf das Angenehme und Widrige in der Bewegung aufmerksam machen. Nicht bloß den Tänzer, dessen eigentliches Studium sie ist, sondern auch den Tonsetzer, den Maler und den Dichter. Denn daher werden sie bisweilen die höchste Kraft ihrer Vorstellungen nehmen können. Raphael hat nicht nur den höchsten Reiz der Bewegung, sondern auch das höchst widrige derselben in der Natur entdeckt. Von dem letzten geben der Besessene in seiner Verklärung des Heilands und der sterbende Ananias deutlichen Beweis.