Begeisterung. (Schöne Künste) Alle Künstler von einigem Genie versichern, dass sie bisweilen eine außerordentliche Wirksamkeit der Seele fühlen, bei welcher die Arbeit ungemein leicht wird; da die Vorstellungen sich ohne große Bestrebung entwickeln und die besten Gedanken mit solchem Überfluss zu ströhmen, als wenn sie von einer höheren Kraft eingegeben würden. Dieses ist ohne Zweifel das, was man die Begeisterung nennt. Befindet sich ein Künstler in diesem Zustande, so erscheint ihm sein Gegenstand in einem ungewöhnlichen Lichte; sein Genie, wie von einer göttlichen Kraft geleitet, erfindet ohne Mühe und gelangt ohne Arbeit zum besten Ausdruck dessen, was es erfunden; dem begeisterten Dichter ströhmen die vortreflichsten Gedanken und Vorstellungen ungesucht zu; der Redner urteilt mit der größten Gründlichkeit, fühlt mit der höchsten Lebhaftigkeit und die Worte zum stärksten und lebhaftesten Ausdruck werden ihm auf die Zunge gelegt. Der begeisterte Maler findet das Bild, das er gesucht hat, vor seine Stirn gemalt und in der größten Kraft, er darf nur nachzeichnen; selbst seine Hand scheint von einer außerordentlichen Kunst geleitet und mit jeder Bewegung der Finger bekommt das Werk einen neuen Grad des Lebens.
Was soll man aus einer so sonderbaren Erscheinung machen, die dem Philosophen in ihrem Ursprung und dem Künstler in ihrer Wirkung so sehr wichtig ist? Woher kommt diese außerordentliche Wirksamkeit der Seele und wie kann sie so glückliche Wirkungen haben?
Diese erhöhte Wirksamkeit zeigt sich entweder in den Begehrungskräften oder in den Vorstellungskräften der Seele, in jeden mit besonderm Erfolg. In jenen durch andächtige oder politische oder zärtliche oder wollüstige Schwärmereien; in diesen durch erhöhte Fähigkeiten des Genies, durch Reichtum, Gründlichkeit, Stärke und Glanz der Vorstellungen und Gedanken. Also ist die Begeisterung von doppelter Art: die eine wirkt vorzüglich auf die Empfindung, die andere auf die Vorstellung.
Beide haben ihren Ursprung in einem lebhaften Eindruck, den ein Gegenstand von besonderer ästhetischer Kraft in der Seele macht. Ist dieser Gegenstand undeutlich, dass die Vorstellungskraft wenig darin entwickeln kann; ist das Gefühl seiner Wirkung lebhafter als die Kenntnis seiner Beschaffenheit, von welcher Art die Gegenstände der gemeinsten Leidenschaften sind; so wird alle Aufmerksamkeit auf die Empfindung gerichtet, die ganze Kraft der Seele vereinigt sich zu dem lebhaftesten Gefühl. Zeigt sich aber der Gegenstand, der den starken Eindruck gemacht hat, in einer hellen Gestalt, die der Geist in ihren mannigfaltigen Teilen übersehen kann, so wird mit der Empfindung auch die Vorstellungskraft gereizt und mit Gewalt auf den Gegenstand geheftet; Verstand und Einbildungskraft bestreben sich, denselben völlig und mit der größten Deutlichkeit und Lebhaftigkeit zu fassen. Im ersten Fall ensteht der Enthusiasmus des Herzens; im anderen Falle die Begeisterung des Genies. Beide verdienen, etwas umständlicher in ihrer Natur und in ihren Wirkungen betrachtet zu werden.
Der Enthusiasmus des Herzens oder die erhitzte Wirksamkeit der Seele, die sich hauptsächlich in Empfindungen äußert, wird von wichtigen Gegenständen erweckt, in denen wir nichts deutlich sehen, bei denen die Vorstellungskraft nichts zu tun findet, wo die Aufmerksamkeit von dem Gegenstand selbst abgezogen und auf das, was die Seele fühlt, auf ihr eigenes Bestreben gerichtet wird.*) Dabei verliert der Geist den Gegenstand aus dem Gesichte und fühlt desto lebhafter seine Wirkung. Dann wird die Seele ganz Gefühl; sie sieht nichts mehr als außer sich, sondern alles in ihr selbst. Alle Vorstellungen von Dingen, die außer ihr sind, fallen ins dunkle; sie sinkt in einen Traum, der die Wirkungen des Verstandes größtenteils hemmet, die Empfindung aber desto lebhafter macht. In diesem Zustand ist sie weder einer genauen Überlegung noch eines richtigen Urteils fähig; desto freier und lebhafter aber äußern sich die Neigungen und desto ungebundener entwickeln sich alle Triebfedern der Begehrungskräfte.
Da die Vorstellungskraft nun nicht mehr vermögend ist, das wirklich vorhandene von dem bloß eingebildeten zu unterscheiden, so erscheint das bloß mögliche als wirklich; selbst das unmögliche wird möglich; der Zusammenhang der Dinge wird nicht mehr durch das Urteil, sondern nach der Empfindung geschätzt; das abwesende wird gegenwärtig und das zukünftige ist schon jetzt wirklich. Was jemals mit einiger Beziehung auf die gegenwärtige Empfindung in der Seele gelegen, kommt jetzt wieder hervor.
In dieser Art der Begeisterung liegt nichts klar in der Seele als die Empfindung und alles, was eine nahe oder entfernte Beziehung darauf hat. Daher entsteht die ungemeine Leichtigkeit, das, was in der Empfindung liegt, auszudrücken; die Lebhaftigkeit und Stärke des Ausdrucks; die süße Schwatzhaftigkeit in zärtlichen Affekten; der wilde, erstaunliche oder herzrührende Ausdruck in heftigen Leidenschaften; die große Mannigfaltigkeit lieblicher oder starker Bilder; die vielfältige Schattierungen der Empfindung; die seltsamen und träumerischen Verbindungen der Gegenstände; der, jeder Empfindung so genau angemessene, Ton und alles, was sonst in dieser Art der Begeisterung sich offenbaret.
Dichter, die in diesem Zustand ihre Empfindungen äußern wollen, ergreifen die Leier und singen Hymnen, Oden oder Elegien. Nirgend sieht man alle diese Wirkungen lebhafter als in den Oden und Elegien der Propheten des jüdischen Volks.
Dieser Zustand hat seine verschiedenen Grade und mancherlei Schattierung, so wohl nach der Stärke und Art der Empfindung als nach der Gemütsart der fühlenden Person. Bisweilen zeigt sich die Empfindung mit der Gewalt eines wütenden Feuers oder eines alles fortreißenden Stroms; der Dichter fühlt sich von einer höheren Macht fortgerissen, wie Horaz, wenn er ausruft:
Quo me Bacche rapis tui Plenum? –– ––
In dieser Begeisterung reißt er auch uns gewaltig mit sich fort, setzt uns in Erstaunen oder in Schrecken oder in ausgelassene Freude. Andremale ist sie ein sanft schmelzendes Feuer, das die ganze Seele in Wollust oder Zärtlichkeit zerfließen macht. Dann fließen die Worte, wie ein sanfter Strom, aber mit einem Überfluss von Gedanken und Vorstellungen. Daher entstehen die Oden und Elegien der sanftern Gattung, die den Leser mit Zärtlichkeit oder leichtem Vergnügen oder süßer Traurigkeit erfüllen.
Fällt diese Begeisterung auf eine Seele, die in ihrem ordentlichen Zustand eine gesunde Urteilskraft und wohl geordnete Empfindungen besitzt; so bleibt auch ihren Schwärmereien etwas von dem Gepräge einer ordentlichen Natur übrig: befällt sie aber Menschen von geringem Verstand und von unordentlichen Leidenschaften, so können ihre Wirkungen nicht anders als abenteuerlich und voll Narrheit sein.
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*) Man kann hierüber den Artikel, Empfindung, nachsehen. Ausführlicher aber ist diese Materie in einem Aufsatz abgehandelt worden, der sich in den Memoires der Königl. Preuß. Academie der Wissenschaften für das Jahr 1764, unter diesem Titel befindet. Observations sur les divers états, où l'ame se trouve en exerçant ses facultés primitives, celle d'appercevoir et celle de sentir.
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