Anagramma. Ein Wort oder ein einfacher Satz der Rede, den man durch Versetzung der Buchstaben eines anderen Wortes oder Satzes heraus gebracht hat; so wie das Wort Amor durch Umkehrung der Buchstaben in Roma verwandelt wird. Dieses ist eine Erfindung des spielenden Witzes der Neuern. Es wurde ehedem insbesondere alsdenn gebraucht, wenn aus dem Namen eines Menschen durch Versetzung der Buchstaben ein Satz heraus gebracht wurde, der ein Lob oder einen Tadel derselben Person enthielt. Diese mühsame Kleinigkeit ist endlich zu unseren Zeiten ziemlich aus der Mode gekommen. Indessen ist nicht zu läugnen, dass es bisweilen angenehme Anagramma geben könne. Folgende verdienen vielleicht hier angeführt zu werden.
Ein gewisser Prediger in Ungarn hatte etliche alte Freunde bei sich zum Essen. Er hieß Tobianus und hatte nicht lange vorher seine Frau verloren, die er um so viel weniger betrauerte, weil sie ihm ein gutes Vermögen nachgelassen hatte, von dem er, so lange sie gelebt, kaum den geringsten Genuß gehabt hatte. Nachdem diese ehrwürdige Gesellschaft von gutem Weine etwas munter worden, fing man, nach Art der damaligen Zeiten, an, Anagrammen zu machen. Einer nahm den Namen Tobianus zum Text und sagte, das Glas in der Hand:
Sunto; abi. Der vierte: Vbi sonat
Tuba Sion. Tobianus: Ita bonus (optavit)
Tobianus.
Von einer edlern und geistreichern Art ist folgendes: Als der König Stanislaus von Pohlen in seiner Jugend von Reisen zurück kam, versammelte sich das ganze hohe Lescinskische Haus in Lissa , um seinen Stammerben zu bewillkommen. Der nachherige preußische Hofprediger in Berlin, Herr Jablonsky, welcher damals Rector der Schule zu Lissa war, hielt bei dieser Gelegenheit einen Actum oratorium, zu dessen Beschluß er 13 als junge Helden gekleidete Tänzer auftreten ließ, einige Ballete zu tanzen. Jeder hatte einen Schild, auf welchem einer der Buchstaben dieser zwei Wörter, DOMVS LESCINIA, in Gold geschrieben war.
Nach dem ersten Balett fanden sich die Tänzer so gestellt, dass die Ordnung ihrer Schilder die Worte Domus Lescinia lesen ließe, die sich nach dem anderen Balett in diese verwandelten:
Ades incolumis.
Nach dem dritten in diese: Omnis es lucida. Nach dem vierten: Omnis sis lucida. Nach dem fünften: Mane sidus loci. Nach dem sechsten: Sis Columna Dei. Und zum Beschluß: I! Scande solium.
Welches letztere als eine Art der Prophezeihung kann angesehen werden.