Ausgang. (Dramatische und epische Dichtkunst) Diejenige Begebenheit, wodurch eine Handlung ihr völliges Ende erreicht, so dass nun nichts mehr geschehen kann, das zu dieser Handlung gehört. In des Euripides Iphigenia in Aulis, ist die Verschwindung dieser Prinzeßin in dem Augenblick, da sie soll geopfert werden und die Erscheinung einer Hindin, die an ihrer Stelle geopfert wird, der Ausgang der ganzen Handlung. Durch die Auflösung wird derselbe vorbereitet; nach ihm aber kann nichts mehr erwartet werden.
Dass jede, so wohl epische als dramatische Handlung einen Ausgang haben müsse, ist daraus offenbar; weil es unmöglich ist ein Zeuge einer interessanten Handlung zu sein und sich eher zu beruhigen als bis man das Ende derselben gesehen hat. Durch die Verwicklung wird man in Erwartung gesetzt, wie doch die Sachen zuletzt auseinander gehen werden; der Ausgang befriediget sie, und lässt der Neugierde nichts mehr zu erwarten übrig. Ist der Ausgang vollkommen, so muss keine Frage mehr übrig bleiben, wie dieses oder jenes, das in der Handlung vorgekommen ist, noch ablaufen werde. Er muss eine befriedigende Antwort auf alle Fragen enthalten, die man zum voraus bei der Handlung gemacht hat: er ist der eigentliche Bereinigungspunkt, in welchem zuletzt alle Vorstel lungen über die Handlung zusammen treffen und ist unvollkommen, wenn er nicht alle unsere Erwartungen über die Personen und Sachen befriediget.
Bei vielen Werken ist der Ausgang das, warum das ganze Werk verfertigt worden: er soll eine immer dauernde Vorstellung von einer guten oder bösen Wirkung eines Charakters oder einer Unternehmung im Gemüte zurück lassen. In diesem Falle ist es von der höchsten Wichtigkeit, dass er wahrscheinlich und natürlich sei, weil sonst der ganze Zweck des Stücks verfehlt würde. In dem Kaufmann von London zielt alles darauf ab, zu zeigen, dass ein, im Grunde nicht böser Jüngling, durch Verführungen der Wollust zu großen Schandtaten verleitet werden und zuletzt in die äußerste Schmach geraten könne. Diese Vorstellung würde man nicht für wahr halten, sie würde in dem Gemüte nicht haften, wenn der Ausgang erzwungen und unwahrscheinlich wäre. Wollte man durch eine dramatische Vorstellung die Zuschauer mit der Überzeugung nach Hause schicken, dass Standhaftigkeit und Mut, mit Rechtschaffenheit verbunden, Mittel sind, sich aus den schwersten Verlegenheiten heraus zu helfen; so muss der Ausgang der Handlung die höchste Wahrscheinlichkeit haben, weil er den Beweis der Sache ausmachen soll. Man muss deswegen den Ausgang nicht auf zufällige Begebenheiten oder auf gewalttätige Veränderungen, sondern auf solche Auflösungen gründen, die in der Natur der Sachen liegen. Es wäre in solchen Fällen ungereimt, ihn auf ein Erdbeben, das kein Mensch erwarten konnte, auf den plötzlichen Tod einer Hauptperson oder auf dergleichen Zufälle zu gründen. Es müssen in der Handlung selbst Ursachen liegen, die den Ausgang bewirken. Dabei muss er etwas außerordentliches oder sonst stark rührendes haben, damit sein Eindruck unauslöschlich bleibe.
Er ist zwar nicht in allen Arten der Handlungen gleich wichtig. In demjenigen Lustspiel, wo es bloß darauf ankommt, den Zuschauer ein paar Stunden zu ergötzen, hat der Dichter sich des Ausganges halber eben keine große Sorge zu machen. Sollte er ihm auch missglücken, so hat er seinen Endzweck erreicht; der Zuschauer hat gelacht; und lacht vielleicht über den possierlichen oder unnatürlichen Ausgang noch mehr. Deswegen hatten auch die mimischen Spiele der Römer keinen ordentlichen Ausgang. Mimi ergo, sagt Cicero,1 est jam exitus, non fabulae; in quo cum clausula non invenitur, fugit aliquis e manibus, deinde Scabella concrepant, aulaeum tollitur. Deswegen haben auch Plautus und Moliere, eben nicht allemal die größte Sorgfalt auf den Ausgang gewendet.
Es kommt hier auf die Absicht des Dichters an; aus dieser muss er urteilen, wie wichtig oder gleichgültig der Ausgang sei und worauf es dabei hauptsächlich ankomme. Wer den Tod des Cäsars vorstellen will, kann zur Absicht haben, einen Tyrannen zu schrecken; sie kann aber auch sein, die patriotischen Gesinnungen seiner Mörder im höchsten Lichte darzustellen. In beiden Fällen ist der Ausgang zwar einerlei; aber seine besondere Behandlung muss bei jeder Absicht anders sein. Es ist ganz unnötig, sich hierüber umständlich einzulassen; genug dass der Dichter überhaupt aufmerksam gemacht werde, den Ausgang genau nach seiner Absicht einzurichten und nach Beschaffenheit des letzten Eindrucks, den er machen will, ihm die gehörige Lenkung zu geben. Im Trauerspiel ist er überhaupt weit wichtiger als im Lustspiel, weil die tragische Handlung an sich wichtiger ist und große Erwartung erweckt.
Man hat als eine Regel festsetzen wollen, dass das Trauerspiel einen fatalen oder traurigen, das Lustspiel einen glücklichen Ausgang haben soll. So ist er auch gröstenteils. Allein zur Regel kann dieses nicht gemacht werden, weil der Ausgang der Absicht des Dichters gemäß sein muss. Will er Schrecken in den Gemütern zurück lassen, so muss er einen anderen Ausgang suchen als wenn er Zuversicht und Standhaftigkeit in die Herzen seiner Zuhörer bringen will.
So wie es uns verdrüßlich fällt, wenn der Ausgang einer Sache unsere Erwartung nicht völlig befriediget, so erweckt es Überdruß, wenn der Dichter dem wah ren Ende der Handlung noch etwas überflüssiges anhängt; wenn er den starken Eindruck, den der Ausgang auf die Gemüter gemacht hat, durch unwichtige Nebensachen oder durch Anmerkungen und Schlussreden, wieder schwächt. Beim Ausgang einer ernsthaften Handlung muss der Zuschauer voll Gefühl sein; die Hauptpersonen müssen in der Lage, worin sie durch den Ausgang versetzt worden, seine ganze Seele erfüllen. Dieses soll der Dichter wohl bedenken und sich sorgfältig hüten, irgend etwas einfließen zu lassen, was zu dieser Vorstellung unnütze ist.
Aus allem diesem erhellt, dass in ernsthaften Stücken der Ausgang, so ein kleiner Teil der Handlung er auch ist, mit der genauesten Überlegung müsse behandelt werden. Mit diesem Artikel ist der von der Auflösung zu vergleichen.
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1 Orat. pro Caelio.