Ausrufung. (Redekunst) Eine Figur der Rede, welche eine Art des Geschreies ist, wodurch man die Heftigkeit einer Leidenschaft durch die Stärke des Tones, an den Tag legt. Die Sprache hat zweierlei Mittel die Leidenschaften auszudrücken; die Worte als bedeutende Zeichen dessen, was in uns vorgeht; und denn bloße Töne, die keine deutliche Begriffe mit sich führen, sondern bloß durch die Heftigkeit der Empfindung mechanisch ausgestoßen werden, wie die Töne O! und Ach! In heftigen Leidenschaften bestrebt sich die Seele ihre Empfindung auf alle mögliche Weise an den Tag zu legen und fühlt währender Rede oft, dass die willkürlichen Zeichen dazu nicht hinreichen; daher stößt sie gleichsam solche Töne aus, die überhaupt die Heftigkeit des Gefühls natürlicher Weise anzeigen.
Die Ausrufung entspringt also ganz natürlich aus allen starken Empfindungen, sie seien angenehm oder widrig. Die Töne, welche die Natur in solchen Umständen aus uns erpreßt, sind nach der Beschaffenheit der Empfindung verschieden. Es gibt Töne des Schmerzens, der Freude, der Bewunderung, der Verschmähung. Die deutsche Sprache ist in diesem Stück eine der ärmsten; die griechische aber die reichste. Außer dem angeführten O! und Ach! haben wir selten andere Ausrufungstöne. Die Neueren haben das Hah! zum Ausdruck des Zorns hinzu getan. Der Mangel solcher charakterisierten Töne wird bisweilen durch die Apostrophe ersetzt; wenn man plötzlich ein höheres Wesen zur Hilfe oder zum Zeugen anruft. Ihr Götter! Himmel! oder wie Haller tut:
O Bern! O Vaterland! O Worte! Die Ausrufung dient demnach die Stärke der Leidenschaft oder vielmehr in derselben die lebhaftesten Augenblicke, die heftigsten Stiche der Empfindung anzuzeigen, indem sie uns eine sehr lebhafte Vorstellung von ihrer Gewalt gibt, die den Redenden zwingt die ordentliche Rede in eine Art des Geschreies zu verwandeln. Man sieht aber hieraus zugleich, dass sie in den redenden Leidenschaften nur selten vorkommen könne. Sie ist einiger maßen mit dem Blitze zu vergleichen, der währendem Rollen des Donners die Empfindung plötzlich rührt und gleich wieder verschwindet. Sie muss nur da angebracht werden, wo die Begriffe, die in der Sprache liegen, nicht mehr hinlänglich sind, die Heftigkeit der Empfindung auszudrücken oder wo die Empfindung so plötzlich entsteht, dass man nicht Zeit haben kann, sich auf Worte zu besinnen.
Der Redner oder Dichter, der in der Sprache der Leidenschaften redet, muss sich wohl in Acht nehmen, die Ausrufung nicht allzu sehr zu häufen, noch sie an derswo als in den heftigsten Augenblicken, anzubringen; denn durch den Missbrauch derselben fällt man in das frostige. Es ist ganz wider die Natur, dass die überwältigende Anfälle der Leidenschaft oft kommen oder lange anhalten. So bald man aber merkt, dass ein Scribent den Mangel der Begriffe mit Ausrufen ersetzen will, so wird man kalt. Sie wirken nur alsdenn, wenn man uns so viel verständliches von der Gemütslage gesagt hat, dass wir die Stärke der Empfindung begreiffen. Daher kommt es, dass die Ausrufung bisweilen ihre Natur ganz verändert und ironisch wird, so wie in dieser Stelle aus Hallers Ode, über die Ehre:
O! edler Lohn für meine Mühe, Wenn ich mich in der Zeitung sehe, Bei einem Schelmen, oben an. Diese Figur tut ihre beste Wirkung, wenn der Redner seinen Satz aufs äußerste gebracht hat und denn dadurch alles von neuem bestätiget. Z. E. Illud queror, tam me ab iis esse contemptum, ut haec portenta, me Consule potissimum cogitarent. Atque in omnibus his agris aedificiisque vendendis permittitur Decemviris, ut vendant quibuscunque in locis videatur. O! perturbatam rationem, o! libidinem refrenandam, o! consilia dissoluta atque perdita. Cic. II. de L. Agr.
Ganz andere Wirkung tut es, wenn die Ausrufung der Vorstellung der Sache vorher geht. Sie bereitet den Zuhörer zu einem sehr lebhaften Ausdruck und reizt seine Vorstellungskraft, genau auf das, was kommen soll, Achtung zu geben. Erfolgt aber dann nicht etwas ganz wichtiges, so wird die Rede frostig.