Ausarbeitung. (Schöne Künste) Die letzte, aber nicht unwichtigste Arbeit des Künstlers, an seinem Werk. Durch die Anlage werden die Hauptteile desselben bloß nach dem Wesentlichen ihrer Beschaffenheit bestimmt und geordnet; durch die Ausführung und Ausbildung, werden die kleineren Teile der Hauptteile richtig bestimmt, wodurch das Werk vollständig wird; durch die Ausarbeitung aber wird alles Zufällige jedes einzelnen Teiles auf das völligste bestimmt und dadurch das Werk vollendet. In einem Portrait würde nach der bloßen Anlage das Bild im Ganzen betrachtet in Ansehung der Zeichnung das völlige Ansehen der Person bereits haben; jeder Hauptteil würde überhaupt in Ansehung des Kolorits das Licht und die Farbe haben, die ihr zukommt: nach der Ausführung würde auch jeder einzelne Teil in seiner wahren Verhältnis und Form gezeichnet sein, sein gehöriges Licht und die wahre Farbe haben; aber die genaueste Verbindung der kleinsten Teile unter einander, die Mittellichter, Widerscheine und die feineren Tinten, wodurch das Bild die eigentliche Wahrheit und Natur bekommt, fehlen noch: diese werden durch die Ausarbeitung hineingebracht. Wenn durch die ersten Arbeiten das Bild ähnlich wird; so bekommt es nur durch die vollkommene Ausarbeitung das Leben, wodurch es nicht mehr wie ein Bild, son dern wie die Sache selbst erscheint.
Durch die Anlage ist der Charakter des Werks bereits bestimmt; zu der Hauptwirkung, die es tun soll, sind die wirkenden Kräfte vorhanden; durch die Ausführung werden diese Kräfte näher bestimmt und bekommen ihre eigentliche Verhältnisse unter einander; durch die Ausarbeitung wird ihre Wirkung erleichtert, werden alle Hindernisse gehoben, bekommt das Werk eine Vollkommenheit, zu welcher sich in dieser Art nichts hinzudenken lässt. Ohne sie also kann kein Werk ganz vollkommen sein. Ist sie nicht der wichtigste Teil der Arbeit des Künstlers, so ist sie doch der, durch den die anderen ihre höchste Wichtigkeit erreichen.
Da wo zur völligen Wirkung eine Täuschung notwendig ist, wie in Gemälden und im Schauspiel, da ist die genaueste Ausarbeitung von der höchsten Notwendigkeit, weil sie das meiste zu der Täuschung beiträgt. In den redenden Künsten wird der höchste Ton der Wahrheit, der Einfalt, der Leichtigkeit nur durch die vollkommene Ausarbeitung erhalten.
Es gibt Werke, die ohne die vollkommene Ausarbeitung einen großen Wert haben. Sichtbare Gegenstände, die weit aus dem Gesichte gesetzt werden, bedürfen ihrer nicht, sie würde so gar schädlich sein; und in der Musik will auch ein sehr stark besetztes, mithin auch in einer großen Entfernung zuhörendes Tonstück, nicht so ausgearbeitet sein, wie ein Trio. Überhaupt wird in allen Stücken, wodurch starke Empfindungen sollen erregt werden, eine genaue Ausarbeitung unnötig; am nötigsten aber in Werken, deren Charakter Anmut und Ruhe ist.
Ausgearbeitete Werke erscheinen niemals in den ersten Zeiten der Kunst; das Große kommt früher als das Schöne: wo aber die Ausarbeitung für das wesentlichste der Künste gehalten wird, da sind sie ihrem Untergange nahe.
Einige französische Schriftsteller glauben, dass ihre Nation gegenwärtig in diesem Fall sei. In der Tat ist vielleicht niemals ein Volk gewesen, wenn man die griechischen Rhetoren unter den römischen Kaisern ausnimmt, das in den redenden Künsten die Ausarbeitung so weit getrieben hat als die französischen Schriftsteller tun. Was sie zu viel tun, das tun die deutschen zu wenig. Die wenigsten deutschen Schriftsteller sehen die Ausarbeitung als einen Teil der Kunst an. Man könnte sich darüber trösten, wenn nur dieser Mangel, wie etwa beim Äschylus, durch höhere Vollkommenheiten ersetzt würde.
Doch ist dieses nicht so zu verstehen als wenn jene vortreffliche Eigenschaften nicht ohne lange und mühsame Bearbeitung könnten erhalten werden. Die Ausarbeitung ist nicht allezeit schwer, auch nicht immer von den übrigen Arbeiten der Künstler abgesondert. Es gibt Werke, die durch eine einzige Bearbeitung vollkommen werden; aber sie sind selten. Die letzte Vollkommenheit hängt von so viel Kleinigkeiten ab, dass nur eine lang anhaltende Betrachtung und ein sehr öfteres Überdenken selbige bemerkt. So lange man von den Hauptteilen, die die größte Kraft haben, eingenommen ist, so lange wird die Aufmerksamkeit den kleineren Teilen entzogen. Wer eine sehr reizende Person zum erstenmal sieht, wird einige kleine Mängel so wohl in ihrem Gesichte als in ihren Manieren, nicht beobachten. Die Stärke der Empfindung lässt ihm keine Muße, sie zu beobachten. So urteilen wir auch von den Werken der Kunst. Der Künstler, der in der Hitze der Einbildungskraft arbeitet, hat nur auf die Hauptsachen Acht; die feinen Teile entgehen ihm. Nur auf einem vollkommen stillen Wasser bildet sich ein Gegenstand in der vollkommensten Ähnlichkeit ab; und eben so kann nur das ganz ruhige Gemüt des Künstlers jeden kleinen Mangel in seinem Werk entdecken und jede kleine Schönheit hinein bringen.
Gar oft haben die vollkommensten Werke das Ansehen als wenn sie ohne alle Mühe der Ausarbeitung, mehr auf einmal geschaffen als durch öftere Bearbeitung nach und nach entstanden, wären. Aber man glaube nicht, dass diese Leichtigkeit ohne Mühe erhal ten worden. Allgemein ist das, was am leichtesten begriffen wird, dem Künstler am schwersten worden. Man sehe hierüber, was der scharfsinnige Verfasser des Versuchs über Popens Genie und Schriften sagt.1 Folgendes ist daraus genommen. »Moliere soll ganze Tage über ein schickliches Beiwort oder über einen Reim zugebracht haben, ob in seinen Versen gleich alle Flüssigkeit und Freiheit des natürlichen Gesprächs herrschet. – Man erzählt, Addison sei erstaunlich eigen in Ausputzung seiner prosaischen Arbeiten gewesen, dass er, nachdem der ganze Abdruck einer Auflage bei nahe geschehen war, den Druck verhindern wollte, um eine neue Präposition oder Conjunktion einzuschalten.« Horaz hielt die Bemerkung alles dessen, was zur vollkommenen Ausarbeitung gehört, für so wenig leicht, dass er dem Künstler das Nonum prematur in annum anrät.
Die Notwendigkeit einer langen Zurückhaltung des Werks, das vollkommen erscheinen soll, lässt sich am leichtesten daher begreifen. Nur an den Dingen, die uns durch den täglichen Gebrauch sehr geläufig worden, erkennen wir jeden kleinen Mangel und jede kleine Vollkommenheit. Also auch in Werken des Geschmacks. Erst alsdenn, wenn man sie, wie man es nennt, auswendig kann, ist man im Stande, alle Kleinigkeiten zu bemerken. Dieses aber ist eben das, worauf es bei der Ausarbeitung ankommt. Wer also in der Ausarbeitung nichts versäumen will, muss sein Werk, nachdem es durch die Ausführung alle seine Teile bekommen hat, noch eine hinlängliche Zeit in seinem Busen herum tragen; damit er es oft so wohl im Ganzen als in den Teilen übersehen könne. Nur diese genaue Bekanntschaft mit seinem Werke setzt den Künstler in Stande, die Ausarbeitung desselben glücklich zu vollführen.
Eine wichtige Sache dabei ist das kalte Blut. So wichtig das Feuer der Einbildungskraft beim Entwurf eines Werks ist, so schädlich ist es der Ausarbeitung, davon wird der Philosoph psychologische Gründe angeben. Eine erhitzte Phantasie sieht in jedem Gegenstand mehr als wirklich darin ist. Der Künstler also, der mit Feuer entwirft, lässt manches aus; weil er es sieht, ohne dass es wirklich vorhanden ist. Könnte er die, für welche er arbeitet, beim Anschauen seines Werks in eben die Fassung setzen, in welcher er bei Verfertigung desselben gewesen ist, so würde die Ausarbeitung überflüssig werden.
Man behalte also jedes Werk so lange an sich, bis man es ohne merkliche Regung der väterlichen Zärtlichkeit, ohne Erneuerung des lebhaften Gefühls, in welchem es entworfen worden ist, ganz übersehen kann; bis es uns selbst einigermaßen fremd geworden ist. Dann ist das Urteil davon frei und die Ausarbeitung möglich.
Dieser Teil der Kunst hat aber auch seine Abwege. Man kann ein Messer, um ihm die höchste Schärfe zu geben, so lange schleifen, bis aller Stahl weggeschliffen ist; und so kann durch eine übertriebene Ausarbeitung ein Werk viel von den höheren Kräften, die es gehabt hat, verlieren. Wer glaubt, dass er jede Kleinigkeit, die er fühlt, ausdrücken wolle, der irret sich und wird durch die dahin abzielende Ausarbeitung sein Werk verderben. Es kommt darauf an, dass auch von den kleineren Schönheiten nur die wesentlichsten glücklich in ein Werk gebracht werden; diese machen, dass man sich die anderen hinzu denkt. Eine Anekdote, die ich von einem guten Künstler habe, ist hier an ihrer Stelle.
Ein Maler hatte ein Gemälde von David Teiniers copirt; und fand, nachdem er allen möglichen Fleis darauf gewendet hatte, seine Kopie ohne Haltung. Stück für Stück, jeden Teil, für sich betrachtet, fand man nicht, dass etwas fehlte; dennoch fehlte dem Ganzen fast alles. Man ruft das Auge eines Freundes zu Hilfe, setzt Original und Kopie neben einander, damit ein unparteiisches Auge entdecke, was dieser fehle. Hier zeigt sich eine Ungleichheit in einem unerheblich scheinenden Umstand. Im Vorgrund des Originals hieng ein Stück weiße Leinwand an einer Stange und dieser kleine Umstand war in der Kopie ausgelassen. Der Kenner kam auf die Vermutung, dass dieses ein wichtiger Umstand sein möchte. Man klebte in der Kopie nur etwas weißes Papier an die Stelle, wo die Leinwand weggelassen war; so gleich bekam das ganze Gemälde eine Haltung, die ihm eine wiederholte Bearbeitung nicht hätte geben können. In einer Landschaft von Rembrandt ist gegen einen sehr dunkeln Wald, vor welchem ein davon ganz beschattetes Wasser liegt, eine weiße Wasser-Meeve in der Luft vorgestellt, die gegen das sehr dunkle Grüne des Waldes absticht. Dieser kleine Umstand gibt dem Gemälde ein sonderbares Leben, welches sich verliert, so bald man diesen kleinen weißen Flek bedeckt.
Wer bei der Ausarbeitung so glücklich ist, wenige kleine Schönheiten von dieser Art anzubringen, der gibt dem Werk die höchste Vollkommenheit, die durch die Menge derselben vielmehr gehindert als befördert wird. So wie es in der Musik gar oft nicht auf die Menge der kleinen Verzierungen ankommt, um die höchste Schönheit des Ausdrucks zu erreichen, sondern auf einen kleinen Vorschlag oder auf eine Bebung der Stimme oder gar auf eine kleine Pause, so ist es auch in anderen Werken. In der glücklichen Wahl der Kleinigkeiten und nicht in der Menge derselben, besteht die vollkommene Ausarbeitung.
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1 Man kann dieses in der bei Nicolai, in Berlin, heraus gekommenen Sammlung vermischter Schriften zur Beförderung der schönen Wissenschaften, nachlesen. S. den VI. Teil S. 136. u. s. f.