Angst. Der höchste Grad der Furcht und also eine sehr wichtige Leidenschaft. Da sie nicht so plötzlich und so vorüber gehend ist, wie der Schrecken, sondern lange anhalten und die Seele in ihren innersten Winkeln durchwühlen kann; so ist schwerlich irgend eine andere Leidenschaft, die so dauernde Eindrücke in dem Gemüte zurück lässt. Sie ist deswegen höchst wichtig, weil sie das kräftigste Mittel ist, einen immerwährenden Abscheu für dasjenige zu erwecken, welches diese unerträglichste aller Leidenschaften hervor gebracht hat.
Von allen Künstlern kann der tragische Dichter den besten Gebrauch davon machen, weil er uns das innere und äußere derselben vor Augen legen und vermittelst der Täuschung diese Leidenschaft in einem ziemlich hohen Grad in uns erwecken kann. Selten können die zeichnenden Künste sich zu dem Grade der Vollkommenheit erheben, dass sie die Angst erwecken können. Kaum ist Raphaels großes Genie dazu hinreichend.
In dem epischen Gedicht hat Klopstock diese Leidenschaft so wohl an dem Abbadona als an dem Judas Ischarioth, mit einer wahren Meisterhand behandelt. Auch in der Noachide kommen verschiedene sehr schöne Bearbeitungen dieser Leidenschaft vor, besonders im zehnten Gesang, da unter anderen die Szene, wo Lamech einen im Todesschlummer liegenden Sünder aufweckt, der beim Aufwachen glaubt, dass der Tag des Gerichts erschienen sei, eine meisterhafte Erfindung ist, die auch Füßli in der, dem X. Gesang vorgesetzten, Zeichnung sehr glücklich ausgedrückt hat.
Im Trauerspiel hat Äschylus in den Eumeniden die Angst auf das höchste getrieben; und unter den Neueren hat Shakespear sie an verschiedenen Orten so ausnehmend vorgestellt, dass es kaum möglich scheint, ihn zu übertreffen.
An die Behandlung dieser Leidenschaft darf sich kein mittelmäßiger Kopf wagen; sie erfordert einen großen Meister.