Aufzug (Schauspiel)

Aufzug. (Schauspiel) Ein Hauptteil der dramatischen Handlung, nach welchem die Bühne von den Schauspielern leer wird. Es liegt eben nicht notwendig in der Natur einer solchen Handlung, dass sie unterbrochen und dass der Ort, wo sie vorgeht, von Personen leer werde. Man kann also weder die Aufzüge an sich selbst, noch ihre Anzahl, in einem Drama aus der Natur der Handlung bestimmen. Wahrscheinlich ist es, dass die Aufzüge zufälliger Weise entstanden sind. Wenn es wahr ist, dass die dramatischen Schauspiele ursprünglich nur aus Chören bestanden und dass nachher eine Handlung zwischen die Chöre ist eingeführt worden, wie Aristoteles und fast alle Alten versichern; so hat man die Chöre, als das wesentliche, die Handlung als das zufällige bei diesen Spielen angesehen und deswegen alles, was zwischen den Chören gesprochen wird, Episodia genannt. Darin muss also der Ursprung, das Drama in verschiedene Aufzüge abzuteilen, gesucht werden. Wiewohl nun dieser Umstand nur vom Trauerspiele, ausdrücklich berichtet wird, so ist er doch vermutlich auch vom Lustspiel wahr, in welchem ursprünglich auch Chöre gewesen, die nachher abgeschafft worden sind, weil man bemerkt hat, dass die Zuschauer, denen die unterbrechung zu lange währte, währendem Chor davon gegangen. Nach Abschaffung der Chöre wurde eine bloße Zwischenzeit zwischen den Aufzügen gelassen, welche aber endlich auch abgeschafft worden, so dass in den lateinischen Lustspielen, die Aufzüge ganz an einander hängen und oft sehr schwer von einander zu unterscheiden sind.

 Diesem nach wäre es vergeblich, in der Natur der Sache einen Grund für die Regel des Horaz zu suchen:

Neve minor, neu sit quinto productior actu Fabula, quae posci vult, et spectata reponi.1

 Man kann bei mehreren Gelegenheiten merken, dass die Alten dasjenige, was die ersten Erfinder bloß zufälliger Weise für gut gefunden, zu einer notwendigen Regel gemacht haben. Alle dramatischen Stücke der Alten sind offenbar in fünf Aufzügen. Im Trauerspiel ist allemal eine Zwischenzeit von einem zum anderen; nur im lateinischen Lustspiel fehlt sie bisweilen. Diese Zwischenzeit wurde durch den Gesang des Chors angefüllt; im Lustspiel wurde anfänglich darin getanzt, welches doch nicht allezeit geschehen ist. Darin aber unterscheidet sich der Gebrauch der Alten von dem heutigen, dass jene die Handlung in dem Zwischen-Raum nicht so weit fortrücken ließen als die Neueren zu tun gewohnt sind. Denn gemeinhin wird im alten Drama, bei jedem neuen Aufzug, die Handlung da fortgesetzt, wo sie am Ende des vorigen gelassen worden. Es gibt Trauerspiele, die offenbar nur aus einem Aufzug bestehen würden, wenn man die Chöre daraus weg ließe. Die Neueren lassen vieles in dieser Zeit hinter der Bühne geschehen.

 Doch findet man auch Beispiele bei den Alten, dass die Handlung zwischen zwei Aufzügen hinter der Bühne fortgeht. In den um Schutz flehenden des Euripides versammlet Theseus zwischen dem 2. und 3. Aufzug das atheniensische Volk und dieses fasst den Schluss die Thebaner zu bekriegen, falls sie die Leichname der erschlagenen Argiver nicht wollten zum Begräbnis verabfolgen lassen.

  Die Gewohnheit, das Drama in fünf oder in drei Aufzüge einzuteilen, beiseits gesetzt, so lässt sich noch verschiedenes über die Notwendigkeit oder den Nutzen der Aufzüge anführen. Erstlich ist zu überlegen, ob es nicht für den Zuschauer etwas ermüdend sein würde, eine so lange Vorstellung ununterbrochen anzusehen. Da es höchst wichtig ist, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers keinen Augenblick schlaff werde, so muss man auch äußerliche Mittel anwenden, sie in der Lebhaftigkeit zu unterhalten. Dieses scheint eine kleine Unterbrechung zu tun. Dazu kommt noch, dass jeder Zwischenraum, insonderheit, wenn der Aufzug in einer Verwicklung zu Ende geht, eine Aufhaltung macht und also die Aufmerksamkeit reizt.

  Hiernächst ist es dem Zweck des Schauspiels gemäß, dass der Zuschauer bisweilen Zeit habe, so wohl das vorhergehende in eine Hauptvorstellung zusammen zu fassen als über einzelne Teile derselben nachzudenken, wozu ihm die Zwischenzeit Gelegenheit gibt. In der griechischen Tragödie war ihm der Chor zu beiden Absichten behülflich und es ist offenbar, dass die meisten griechischen Chöre aus diesem Gesichtspunkt verfertigt worden. Sie sind Ruhepunkte, wo die gemachten Eindrücke sich etwas setzen und befestigen können. Es ist deswegen sehr übel getan, wenn die Zwischenzeit mit solchen Vorstellungen des Tanzes oder der Musik besetzt wird, die diese hindern. S. Zwischenzeit .

 Ein solcher Abschnitt kann auch in gewissen Fällen für die Handlung notwendig werden. Es trifft sich oft, dass der Dichter nur eine Person muss auftreten lassen, die nicht anders als allein erscheinen kann. Diesem Umstand zu gefallen muss bisweilen eine Unterbrechung veranstaltet werden oder eine Person, die allein auf der Schaubühne geblieben ist, muss notwendig, ehe die Handlung weiter kann fortgesetzt werden, weggehen, z. B. einige Erkundigung einzuziehen: dann entsteht notwendig ein Zwischenraum. Bisweilen beruht der Fortgang der Handlung auf Sachen, die auf der Bühne gar nicht können vorgestellt werden: dann ist die Abbrechung gänzlich notwendig. Z. E. der Ausgang des Trauerspiels, die sieben Helden von Theben, beruht auf dem Streit der beiden Brüder. Nachdem alles dazu fertig ist, muss die Handlung notwendig still stehen, bis dieser Streit vorbei ist. Wenn der Dichter diesen Raum, wie in einigen neuen Schauspielen geschieht, bloß mit Reden über allgemeine Moralen oder locos communes anfüllen wollte, so würde er langweilig werden.2

 Aus diesen Betrachtungen muss der Dichter seine Einteilung der Aufzüge herleiten. Die Handlung muss allemal so abgebrochen werden, dass die Aufhaltung einen der erwähnten Umstände zum Grunde habe. Von der willkürlichen Regel und Gewohnheit einiger Neuern, dass alle Aufzüge ohngefähr gleich lang sein sollen, weiß die Natur nichts und die Alten haben nicht daran gedacht. Sie haben sehr kurze und sehr lange Aufzüge in einem Gedichte.

 Wiewohl die Anzahl der fünf Aufzüge bei den Alten beständig angetroffen wird, so ist doch eine geringere Zahl kein Fehler wider irgend eine gegründete Regel.

 

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1 De Art. 189. 190.

2 S. Practique du théatre par l'abbé d' Aubignac L. III. ch. 6.

 


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