Ausdruck in der Musik. Der richtige Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften in allen ihren besonderen Schattierungen ist das vornehmste, wo nicht gar das einzige Verdienst eines vollkommenen Tonstückes. Ein solches Werk, das bloß unsere Einbildungskraft mit einer Reihe harmonischer Töne anfüllt, ohne unser Herz zu beschäftigen, gleicht einem von der untergehenden Sonne schön bemalten Himmel. Die liebliche Vermischung mannigfaltiger Farben ergötzt uns; aber in den Figuren der Wolken sehen wir nichts, das unser Herz beschäftigen könnte.
Bemerken wir aber in dem Gesang, außer der vollkommenen Fortströhmung der Töne, eine Sprache, die uns die Äusserungen eines fühlenden Herzens verrät, so dient die angenehme Unterhaltung des Gehörs der Seele gleichsam zu einem Ruhebette, auf welchem sie sich allen Empfindungen überlässt, die der Ausdruck des Gesangs in ihr hervor bringt. Die Harmonie sammelt alle unsere Aufmerksamkeit, reizt das Ohr, sich ganz dem höheren Gefühl, das die Nerven der Seele angreift, zu überlassen.
Der Ausdruck ist die Seele der Musik: ohne ihn ist sie bloß ein angenehmes Spielwerk; durch ihn wird sie zur nachdrücklichsten Rede, die unwiderstehlich auf unser Herz wirkt. Sie zwingt uns, jetzt zärtlich, denn beherzt und standhaft zu sein. Bald reizt sie uns zum Mitleiden, bald zur Bewunderung. Einmal stärket und erhöher sie unsere Seelenkräfte; und ein andermal fesselt sie alle, dass sie in ein weichliches Gefühl zerfließen.
Aber wie erlangt der Tonsetzer diese Zauberkraft, so gewaltig über unser Herz zu herrschen? Die Natur muss den Grund zu dieser Herrschaft in seiner Seele gelegt haben. Diese muss sich selbst zu allen Arten der Empfindungen und Leidenschaften stimmen können. Denn nur dasjenige, was er selbst lebhaft fühlt, wird er glücklich ausdrücken. Das Beispiel der zwei Tonsetzer, welche in Deutschland am meisten bewundert werden, Grauns und Hassens, beweist die Wirkung des Temperaments auf die Kunst. Dem ersteren hatte die Natur eine Seele voll Zärtlichkeit, Sanftmut und Gefälligkeit gegeben. Wiewohl er nun alle Geheimnisse der Kunst in seiner Gewalt hatte, so war ihm nur der Ausdruck des Zärtlichen, des Einnehmenden und Gefälligen eigen und mehr als einmal scheiterte er, wenn er das Kühne, das Stolze, das Entschlossene auszudrücken hatte. Hasse hingegen, dem die Natur einen höheren Mut, kühnere Empfindungen, feurigere Begierden gegeben hat, ist in allem, was seinem Charakter nahe kommt, weit glücklicher als in dem Zärtlichen und Gefälligen.
Es ist sehr wichtig, dass der Künstler sich selbst kenne und wenn es bei ihm steht, nichts unternehme, das gegen seinen Charakter streitet. Allein dieses hängt nicht allemal von seiner Willkür ab. So wie ein epischer Dichter sich in alle, selbst einander entgegen gesetzte, Empfindungen muss setzen können, indem er jetzt einen friedfertigen oder gar feigen, denn einen verwegenen Mann, muss sprechen machen, so begegnet es auch dem Tonsetzer. Er muss also da, wo ihm die Natur weniger Beistand leistet, sich durch Fleiß und Übung helfen.
Hierzu dient überhaupt das, was wir in dem vorhergehenden Artikel den Künstlern zur Übung empfohlen haben. Außer dem aber muss der Musikus sich ein besonders Studium daraus machen, den Ton aller Leidenschaften zu erforschen. Er muss die Menschen nur in diesem Gesichtspunkt sehen. Jede Leidenschaft hat nicht bloß in Absicht auf die Gedanken, sondern auf den Ton der Stimme, auf das Hohe und Tiefe, das Geschwinde und Langsame, den Akzent der Rede, ihren besonderen Charakter. Wer genau darauf merkt, der entdeckt oft in Reden, deren Worte er nicht versteht, einen richtigen Verstand. Der Ton verrät ihm Freude oder Schmerz, ja so gar unterscheidet er in einzeln Tönen einen heftigen oder mittelmäßigen Schmerz, eine tief sitzende Zärtlichkeit, eine starke oder gemäßigte Freude. Auf die genaueste Erforschung des natürlichen Ausdrucks muss der Musikus die äußerste Sorgfalt wenden; denn wiewohl der Gesang unendlich von der Rede verschieden ist, so hat diese doch allezeit etwas, welches der Gesang nachahmen kann. Die Freude spricht in vollen Tönen mit einer nicht übertriebenen Geschwindigkeit, und mäßigen Schattierungen des starken und schwächern, des höheren und tiefen in den Tönen. Die Traurigkeit äußert sich in langsamen Reden, tiefer aus der Brust geholten, aber weniger hellen Tönen. Und so hat jede Empfindung in der Sprache etwas eigenes. Dieses muss der Tonsetzer auf das allerbestimmteste beobachten und sich bekannt machen. Denn dadurch allein erlangt er die Richtigkeit des Ausdrucks.
Hiernächst befleiße er sich, die Wirkungen der verschiedenen Leidenschaften in dem Gemüte selbst, die Folge der Gedanken und Empfindungen genau zu erkennen. In jeder Leidenschaft treffen wir eine Folge von Vorstellungen an, welche mit der Bewegung etwas ähnliches hat, wie das bloße Wort, Gemütsbewegung, wodurch man jede Leidenschaft ausdrückt, schon anzeigt. Es gibt Leidenschaften, in denen die Vorstellungen, wie ein sanfter Bach, einförmig fortfließen; bei anderen ströhmen sie schneller, mit einem mäßigen Geräusche und hüpfend, aber ohne Aufhaltung; in einigen gleicht die Folge der Vorstellungen den durch starken Regen aufgeschwollenen wilden Bächen, die ungestüm daher rauschen und alles mit sich fort reißen, was ihnen im Wege steht. Bisweilen gleicht das Gemüt in seinen Vorstellungen der wilden See, die jetzt gewaltig gegen das Ufer anschlägt, denn zurück tritt, um mit neuer Kraft wieder anzuprellen.
Die Musik ist vollkommen geschickt, alle diese Arten der Bewegung abzubilden, mithin dem Ohr die Bewegungen der Seele fühlbar zu machen, wenn sie nur dem Tonsetzer hinlänglich bekannt sind und er Wissenschaft genug besitzt, jede Bewegung durch Harmonie und Gesang nachzuahmen. Hierzu hat er Mittel von gar vielerlei Art in seiner Gewalt, wenn es ihm nur nicht an Kunst fehlt. Diese Mittel sind 1) die bloße Fortschreitung der Harmonie, ohne Absicht auf den Takt, welche in sanften und angenehmen Affekten leicht und ungezwungen, ohne große Verwicklungen und schwere Aufhaltungen; in widrigen, zumal heftigen Affekten aber, unterbrochen, mit öftern Ausweichungen in entferntere Tonarten, mit größeren Verwicklungen, viel und ungewöhnlichen Dissonanzen und Aufhaltungen, mit schnellen Auflösungen fortschreiten muss. 2) Der Takt, durch den schon allein die allgemeine Beschaffenheit aller Arten der Bewegung kann nachgeahmt werden. 3) Die Melodie und der Rhythmus, welche an sich selbst betrachtet ebenfalls allein schon fähig sind, die Sprache aller Leidenschaften abzubilden. 4) Die Abänderungen in der Stärke und Schwäche der Töne, die auch sehr viel zum Ausdruck beitragen; 5) die Begleitung und besonders die Wahl und Abwechslung der begleitenden Instrumente; und endlich 6) die Ausweichungen und Verweilungen in anderen Tönen.
Alle diese Vorteile muss der Tonsetzer wohl überlegen und die Wirkung jeder Veränderung mit scharfer Beurteilung erforschen; dadurch wird er in Stand gesetzt, jede Leidenschaft auf das bestimmteste und kräftigste auszudrücken. Wir haben Beispiele, dass Leidenschaften, die sich nur durch ganz feine Schattierungen von anderen ihrer Art unterscheiden, die Kunst der Musik nicht übersteigen. So hat der vortrefliche Graun in der Operette Europa Galante betittelt, in der Arie Dalle labbre del mio Bene, die Art der Zärtlichkeit, welche mit gänzlicher Ergebung in den Willen des Gebieters verbunden und dem Ottomannischen Serail vorzüglich eigen ist, vollkommen ausgedruckt. Ein großer Beweis von den Fähigkeiten der Musik, den schwersten Ausdruck zu erreichen.
Aber die öftern Fehler gegen den Ausdruck, welche so wohl dieser große Mann als andere Tonsetzer vom ersten Range, begehen, zeigen auch die Notwendig keit der allergenauesten Überlegung und des äußersten Fleißes, den der vollkommene Ausdruck erfordert. Wir wollen dem, der dieses Wesentlichste der Kunst zu erreichen sucht, über das bereits angeführte noch folgende Anmerkungen zu seiner Überlegung empfehlen.
Jedes Tonstück, es sei ein wirklicher von Worten begleiteter Gesang oder nur für die Instrumente gesetzt, muss einen bestimmten Charakter haben und in dem Gemüte des Zuhörers Empfindungen von bestimmter Art erwecken. Es wäre töricht, wenn der Tonsetzer seine Arbeit anfangen wollte, ehe er den Charakter seines Stücks festgesetzt hat. Er muss wissen, ob die Sprache, die er führen will, die Sprache eines Stolzen oder eines Demütigen, eines Beherzten oder Furchtsamen, eines Bittenden oder Gebietenden, eines Zärtlichen oder eines Zornigen sei. Wenn er auch durch einen Zufall sein Thema erfunden oder wenn es ihm von ungefähr eingefallen ist, so untersuche er den Charakter desselben, damit er ihn auch bei der Ausführung beibehalten könne.
Hat er den Charakter des Stücks festgesetzt, so muss er sich selbst in die Empfindung setzen, die er in anderen hervor bringen will. Das beste ist, dass er sich eine Handlung, eine Begebenheit, einen Zustand vorstelle, in welchem sich dieselbe natürlicher Weise in dem Lichte zeigt, worin er sie vortragen will; und wenn seine Einbildungskraft dabei in das nötige Feuer gesetzt worden, dann arbeite er und hüte sich irgend eine Periode oder eine Figur einzumischen, die außer dem Charakter seines Stücks liegt.
Die Liebe zu gewissen angenehm klingenden und auch in Absicht auf den Ausdruck glücklich erfundenen Sätzen verleitet die meisten Tonsetzer, dieselben gar zu oft zu wiederholen. Man muss aber bedenken, dass diese Wiederholungen dem Ausdruck oft ganz entgegen sind. Sie schicken sich nur zu gewissen Empfindungen und Leidenschaften, in denen das Gemüt sich gleichsam immer nur um einen Punkt herum bewegt. Es gibt aber auch andre, wo die Vorstellungen sich beständig ändern, nach und nach stärker oder auch schwächer werden oder gar allgemach in andere übergehen. In diesen Fällen sind öftere Wiederholungen desselben Ausdrucks unnatürlich.
Sind dem Tonsetzer die Worte vorgeschrieben, auf welche er den Gesang einrichten soll, so erforsche er zuerst den wahren Geist und Charakter derselben; die eigentliche Gemütsfassung, in welcher sich eine solche Rede äußert. Er überlege genau die Umstände des Redenden und seine Absicht; dadurch setze er den allgemeinen Charakter des Gesangs fest. Er wähle die tüchtigste Tonart, die angemessene Bewegung, den Rythmus, den die Empfindung wirklich hat; die Intervalle, wie sie der anwachsenden oder sinkenden Lei denschaft am natürlichsten sind. Dieses Charakteristische muss durch das ganze Stück herrschen; aber vorzüglich an Stellen, wo ein besonderer Nachdruck in den Worten liegt.
In besondere, umständliche Betrachtung einzelner Dinge, lassen wir uns hier nicht ein. Die Absicht ist hier nur, den Meister der Kunst aufmerksam und behutsam zu machen. Was die besonderen Wirkungen der Tonart, der Bewegung, des Rhythmus, der Intervalle, auf den Ausdruck betrifft, davon ist in den besonderen Artikeln über diese Kunstwörter verschiedenes angemerkt worden.
Es ist auch guten Meistern in der Kunst begegnet, in zweierlei ganz ungereimte Fehler gegen den Ausdruck zu fallen. Der eine ist, dass sie den Ausdruck auf einzelne Wörter angewendet haben, welche sie außer dem Zusammenhang genommen; da sie denn eine Empfindung erwecken, welche der Hauptempfindung, die im Ganzen herrscht, zuwider ist. In der Rede drückt man oft eine Sache durch ihr Gegenteil aus, in dem man eine Verneinung dazu setzt. Anstatt: seid nun wieder fröhlich, sagt man auch wohl; weinet oder trauret nicht mehr. Die Verneinung, nicht mehr, ist ein abgezogener Begriff, den die Musik nicht ausdrücken kann. Sie muss also den ganzen Gedanken zusammen nehmen und etwas tröstendes ausdrücken. Wollte man den Ausdruck bloß auf das Wort weinet oder trau ret legen, so würde man gerade das Gegenteil dessen sagen, was man sagen soll. Und doch haben große Meister diesen Fehler begangen.
Der andere Fehler, der über den rührendsten Gesang einen Frost streut, der alles verderbt, entsteht aus der unzeitigen Begierde, Dinge zu malen, die entweder ganz außer dem Gebiete der Musik liegen oder doch an dem Orte, wo man sie bei Gelegenheiten gewisser Worte anbringt, eine sehr widrige Wirkung tun. Wir haben aber davon in einem besonderen Artikel gesprochen. (S. Gemälde in der Musik.)