c) Zweifel an Kants Gottes- und Unsterblichkeitsglauben


So ist denn zu begreifen — zumal da er im Gespräch wie in seinen Schriften stets das menschliche Nichtwissen in bezug auf übernatürliche Dinge betonte —, dass man in späteren Jahren, wenigstens in Königsberger Kreisen, starke Zweifel an seinem Gottes- und Unsterblichkeitsglauben zu hegen anfing. So versicherte der Buchhändler Nicolovius am 30. Juli 1798 Abegg (nach des letzteren Tagebuch): "Viele Kantianer konnten aus Kant nicht kommen [= klug werden? K. V.], wie seine Religionslehre erschienen ist, und auch dessen Rechtslehre. Sie vermuten, er stimme nicht mit sich überein." Abegg verstand Nicolovius dahin, dass Kant nicht mit seinen gedruckten Büchern übereinstimme. "Vermutlich aber bezog er sich auf die Meinung der hiesigen Schüler Kants, dass derselbe keinen festen Glauben an die Unsterblichkeit habe." Noch deutlicher drückte sich Brahl aus: "Ungeachtet er (Kant) einen Gott postuliert, so glaubt er selbst nicht daran, und auch die Zukunft achtet er nicht, insofern sie Fortdauer gewähren kann." — "Keinen Gott?", erwiderte Abegg, "an was knüpft er denn alles in der Moral als an Gott?" "Es ist wahr", sagte Brahl, "in der Metaphysik läßt er's unentschieden, negiert nicht und bejaht nicht. In der Moral ist er der Meinung, eigentlich komme es auf das individuelle Bedürfnis an, er bekämpft in dieser Hinsicht den Schlosser nicht, der ohne eine göttliche Regierung nicht leben kann." — Auch Jachmann gegenüber warf der Philosoph einmal, höchstwahrscheinlich in den 8oer Jahren, die Frage auf: Ob er lieber eine Ewigkeit hindurch existieren oder mit seinem Lebensende gänzlich aufhören wolle? Es sei doch "höchst gewagt, sich für einen völlig unbekannten und doch ewig dauernden Zustand zu entscheiden und sich willkürlich einem ungewissen Schicksal zu übergeben, das ungeachtet aller Reue über die getroffene Wahl, ungeachtet alles Überdrusses über das endlose Einerlei und ungeachtet aller Sehnsucht nach einem Wechsel dennoch unabänderlich und ewig wäre" (Jachmann, S. 121 f.). Und ganz ähnlich erklärte er Pörschke, ihm sei der Gedanke einer Ewigkeit ohne Fortschritt der Geistesentwicklung, der ununterbrochenen Einerleiheit, und wäre sie auch hohe Glückseligkeit, ein schrecklicher Gedanke (Schuberts Kantsausgabe XI, 2, S. 180).

Allein das scheinen doch nur gelegentlich geäußerte Gedanken gewesen zu sein, die freilich die Ungewißheit eines gewissenhaften und wahrheitsliebenden Geistes widerspiegeln. "Oft" aber äußerte er sich auch wieder "mit Rührung über die Seligkeit eines besseren Lebens" (Jachmann, S. 122). Zuweilen allerdings auch in leichtem Scherz, wie wenn er einmal in einer Gesellschaft meinte, er würde sich freuen, seinem alten Lampe und ähnlichen ehrlichen Menschen im Jenseits zu begegnen (ebd. 125). Mag man aber auch in der Unsterblichkeitsfrage auf ein non liquet erkennen, so zeigte er sich Jachmann und anderen zuverlässigen Berichterstattern in seinen mündlichen Gesprächen "von dem Glauben an ein höchstes Wesen und an eine moralische Weltregierung durchdrungen", wenngleich er bekannte, ebensowenig als jeder andere "den Unbegreiflichen begreifen und erkennen" zu können.

Vor allem aber möchten wir öfters vorgekommenen Anzweifelungen gegenüber, und zwar in Übereinstimmung gerade mit Jachmann, der ihn mindestens ein Jahr lang aus nächster Nähe beobachten konnte, eins betonen: es widerspricht Kants Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe durchaus, einen inhaltlichen Zwiespalt zwischen seinen öffentlichen Schriften und seinen angeblichen Privatmeinungen anzunehmen. Gewiß, meint Kant einmal, braucht man öffentlich nicht alles zu sagen, was man denkt; aber man soll niemals etwas sagen, was man nicht denkt. Und so müssen wir uns auch in betreff seiner Ansichten über Gott und Unsterblichkeit an das in seinen Schriften darüber Veröffentlichte halten. Probleme wie das Dasein Gottes oder gar die Beschaffenheit einer anderen Welt zu studieren, womit die Menschen im Kindesalter der Philosophie anfingen, das ist der Punkt, wo wir jetzt lieber endigen möchten (Kr. d. r. V., Kap. 4 der Transz. Methodenlehre). "Gott" ist eben im Sinne des Kritizismus kein substantielles Ding, sondern eine, wenn auch "subjektiv" notwendige Idee, das heißt ein bloß regulatives Prinzip (vgl. Kap. 2 des III. Buches), das man nicht dogmatisch gebrauchen darf. Sein "Dasein" läßt sich ebensowenig beweisen als das Gegenteil. Oder, um einen Gedanken aus den 'Losen Blättern' (Reicke, D 18) anzuführen, in denen Kants Anschauungen manchmal in besonders ursprünglicher Form zum Ausdruck kommen. Man sollte den Begriff von Gott, "der einmal da ist", aus seinem Gebrauche genetisch entwickeln, von den Anfängen ("Furcht, Zauberei, Geister, Priester") an, bis man schließlich zu dem Ergebnis kommt: Gott ist 1. ein logisches Ideal, 2. eine notwendige Hypothese für die natürliche, 3. desgleichen für die sittliche Ordnung.

Von irgendwelcher Furcht vor dem Dasein nach dem Tode war jedenfalls unser Philosoph völlig frei. "Ungeachtet er das Leben für nichts Kostbares und für sehr beglückend hält", so fuhr Brahl in den vorhin wriedergegebenen Mitteilungen an Abegg fort, "ist er doch immer heiter und vergnügt. Ganz hat er sich in seiner Gewalt; er fürchtet den Tod durchaus nicht. Einer seiner jüngeren Freunde war neulich kränklich und sah sehr traurig aus. "O, fürchten Sie sich etwa vor dem Tode? Wie unrecht! Sehen Sie, ich fürchte ihn nicht, obwohl der Paßwagen vor der Türe steht."


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