Versteigerung des Nachlasses


Bei der — Versteigerung von Kants Mobiliar wurde, wie es bei berühmten Männern zu gehen pflegt, "das Mehreste weit über den Wert bezahlt" (Borowski); auch von auswärts gingen eine Reihe Auftrage ein. Dass Ringe mit dem Haar des Toten sich im Laufe weniger Tage stark vervielfältigten, berichtet Jachmann in der Form: "Von dem Silberhaar des Verblichenen flicht man gegenwärtig Ringe, und ihr Absatz soll reißend sein: ich glaube aber, dass es mit den Haaren Kants ebenso wie mit den ehemaligen Reliquien der Heiligen gehen wird, und dass bald mehr Kantische Haarringe im Publiko sein werden, als Kant in seinem ganzen Leben einzelne Haare gehabt hat" (S. 188). Fest steht aus dem Inventarbericht nur, dass den vier studentischen "Entrepreneurs" der Bestattungsfeier zum Andenken vier goldene Haaringe überreicht wurden. Von Summen, wie sie heute für solche Reliquien gezahlt werden, kann jedenfalls keine Rede sein. Kamen doch auch bei der gesamten, drei Tage währenden Auktion im ganzen nur 507 Taler = 1521 Gulden heraus, wovon mehr als ein Drittel auf die von den Krönerts erworbenen Stücke, offenbar Möbel oder praktischen Hausrat, fiel. Von sonstigen auf der Auktion verkauften Gegenständen erwähnt die notarielle Aufstellung noch: eine vorzügliche, ihrem bloßen Gebrauchswert nach vom Uhrmacher auf 100 Gulden geschätzte "englische silberne, zweigehäusigte" Taschenuhr, eine Tabaksdose aus weißem Email, ein Brennglas und eine Brille mit Schildpattrahmen, ein paar schadhafte messingene Federn zum Strumpfhalten, ein paar goldene Ärmelknöpfe, neun silberne Eßlöffel, zwei silberne Teelöffel, einen kleinen Punschlöffel.

Jedenfalls hat damals die Pietät nicht in dem Maße, wie bei Schiller oder gar Goethe, die freilich beide Familie besaßen, ihres Amtes gewaltet. Es haben sich, um das zunächst zu erwähnen, nur verhältnismäßig wenige Gegenstände seines täglichen Gebrauchs erhalten. Die Königliche und Universitätsbibliothek seiner Vaterstadt bewahrt seine Tabakdose, einen Eßlöffel, ein kleines Gerätebesteck, darunter ein winziges elfenbeinernes Schreibtäfelchen mit einigen Zeilen gelehrten Inhalts von seiner Hand, und die beiden ihm überreichten studentischen Adressen vom 21. August 1770 und 14. Juni 1797. Das dortige Prussia-Museum: sein bei der Auktion von einem Schuhmacher (einem seiner Neffen?) erstandenes Schreibpult, ein Paar Handschuhe, den im Haus gebrauchten Hut, seinen Spazierstock, eine (von Wasianski abgeschnittene) Haarlocke und 15 Knöpfe seines Rockes. Das Essener Stadtmuseum besitzt als Geschenk des dortigen Eisenbahnpräsidenten, eines Nachkommen Wasianskis: 1. Einen rotgoldenen Ring mit der Inschrift I. Kant Den(atus) XII. Febr. 1804, in dessen Glaskapsel man ein Strähnchen hellblonden Haares des Philosophen sieht; 2. die noch heute helltönende, etwa 9 Zentimeter hohe Tischglocke Kants; 3. die in der kgl. Berliner Porzellan-Manufaktur hergestellte kunstvolle Tasse, die Kant Frühling 1795 von Lagarde zum Geschenk erhielt (siehe S. 84), das ihm große Freude bereitete (vgl. seinen Dank an Lagarde, 30. März 95). Die Obertasse trägt sein eigenes wohlgetroffenes Bild (nach Vernet), von einem Blütenkranze eingerahmt, die Untertasse die auf einem Throne sitzende Philosophie, die in der Rechten einen Zirkel trägt und der ein Putte die aufgeschlagene 'Kritik der Vernunft' bringt.

Die, wie wir wissen, nur geringfügige Bücherei des Philosophen — ihr Gesamtwert wurde von dem gerichtlich bestellten Antiquar auf nur 166 2/3 Taler (500 Gulden) geschätzt — war dem außerordentlichen Professor Gensichen vermacht worden. Ihm, Wasianski und Kants Verleger im letzten Jahrzehnt, Fr. Nicolovius, fielen auch die hinterlassenen, — nach Schubert XI, S. 217 mehrere Tausend — Losen Blätter, überhaupt alles Handschriftliche zu. Als Gensichen drei Jahre nachher seinem Lehrer in den Tod folgte, kaufte die Universitätsbibliothek die in seinem Besitz gewesenen Handschriften an, während die von Kant gebrauchten und vielfach engbeschriebenen (s. Buch III, Kap. 9) Vorlesungs-Kompendien anderweitig verkauft wurden, unter anderem teilweise an die Universitätsbibliothek in Dorpat kamen. Wasianski hatte viele einzelne Papiere, die er für wertlos hielt, nach dem Tode des Philosophen als Erinnerungsblätter an ihn verschenkt; die Hauptmasse des in seinem und seines Schwagers, Bürgermeister Buck, Besitz Gewesenen wurde nach ihrem Tode (1831 bzw. 1827) der heimischen Universitätsbibliothek geschenkt. Dagegen ist von dem Nicolovius († 1836) verbliebenen und ungeordnet gelassenen Material nur ein Teil von Schubert für die Universitätsbibliothek angekauft und so gerettet worden; der andere war in die massenhafte Makulatur des langjährigen Verlegers hineingeraten, "die zentnerweise an mehreren Tagen verkauft und von Gewürzkrämern erstanden wurde" (Schubert, a. a. O., S. 218). So ist damals durch die Nachlässigkeit von Königsberger Buchhändlern und Gelehrten vielleicht manches kostbare Material, das man jetzt mit Gold aufwiegen würde, verlorengegangen. Nur durch einen glücklichen Zufall ist z. B. das wertvolle Handexemplar des Philosophen von seinen 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen' durch den Prediger Andersch in einem Krämerladen gefunden und Schubert geschenkt worden.


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