B. Im Ausland
Nordeuropa
Aber die kritische Philosophie begann jetzt auch jenseits der deutschen Grenzen sich auszubreiten. Dass sie bereits zu Anfang der 80er Jahre in Kurland zahlreiche Anhänger fand, haben wir schon aus dem Munde von Kants Bruder gehört. Viele Kur- und Livländer studierten in Königsberg, und scheinen vielfach besondere Verehrer Kants gewesen zu sein, wie denn von ihnen der neue Professor 1770 das bekannte Huldigungsgedicht erhielt. Umgekehrt gingen viele Kandidaten nach vollendetem Studium als Hauslehrer oder Lehrer an öffentlichen Schulen nach dem benachbarten Kurland. An die "große Schule", das heißt das Gymnasium der Hauptstadt (Mitau), hatte der Philosoph ja selbst, schon als ordentlicher Professor, noch einen Ruf erhalten. An ihr wirkten auch, nachdem Kurland 1795 in russischen Besitz übergegangen war, bloß deutsche Lehrer, unter anderen ein früherer Schüler Kants, C. W. Cruse. Auch von dem benachbarten Livland berichtet ein einheimischer Edelmann, Freiherr von Ungern-Sternberg, dermalen russischer Reiteroffizier, den die Kritik der reinen Vernunft nach langem Umherirren aus "den philosophischen Wäldern und Morästen" herausgeleitet (an Kant am 12. Mai 1796), dass dort "Ihre Philosophie mit Vergnügen und Fleiß studiert wird"; was Kant "als einem echten Kosmopoliten" gewiß Freude machen werde.
Auch in der russischen Hauptstadt, und nicht bloß von Deutschen, ward Kants Name jetzt geehrt. Noch ist auf der Königsberger Universitäts-Bibliothek das schön ausgestattete Diplom zu sehen, durch das der vir celeberrimus Immanuel Kant wegen seiner ausgezeichneten wissenschaftlichen Verdienste am 28. Juli 1794 zum auswärtigen Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Unterzeichnet war es von der bekannten Freundin Katharinas II., Fürstin Daschkow als "Direktor", von J. A. Euler, dem Sohn des von Kant geschätzten Mathematikers und Philosophen, als Sekretär1).
Nach Dänemark war schon im Frühjahr 1792 aus Jena ein geistvoller junger Landsmann (Hornemann) zurückgekehrt, um in Kopenhagen "das neue Evangelium zu predigen" (Schiller an Körner, 15. März 94), der aber schon im Herbst 1793 gestorben war. Ein besonders begeisterter kleiner Kreis von Kantfreunden aber bildete sich um den phantasie- und gefühlsreichen Dichter Jens Baggesen. Diesen erfüllte eine solche Begeisterung für den Königsberger Philosophen, dass er Ende April 1793 nach der Pregelstadt reisen wollte, "einzig und allein, um Messias den Zweiten [!] zu sehen". Als er dann die Reise aufgeben mußte, schrieb er an Erhard: "Wie werden Sie mir von dem Manne, der mich nach Christus von allen Gestorbenen und liebenden am meisten interessiert, erzählen müssen" (B. an Erb.., 5. März 93). Er nannte seinen Sohn Immanuel und unterschrieb sich auch selbst öfters mit diesem Vornamen. Er gewann für Kant den aus Schillers lieben bekannten Grafen Schimmelmann, dänischen Finanzminister, und dessen Frau Charlotte. Die Gräfin bekannte allerdings dem gemeinschaftlichen Freunde Erhard, den "Apostel der Wahrheit" (Kant) noch nicht ganz zu verstehen, doch ahne sie in der Ferne das "himmlische Feuer" und wolle versuchen, "sich so hoch zu schwingen, als sie ohne Schwindel ertragen könne"; sie hoffe, dass allgemach die trennenden Nebel verschwinden würden. Einig waren diese dänischen Freunde von Schiller und Kant auch in ihrer Begeisterung für die französische Revolution. Baggesen hielt die "Neufranken" schlechterdings für "unüberwindlich von ihren äußeren Feinden" (weniger von den inneren) und wünschte das Wachstum dieses "politischen Christentums"; des Königs Hinrichtung sei zwar subjektiv weder politisch noch gerecht, aber "objektiv" glücklich. Und die Gräfin hält auch 1795 noch ihren Glauben an die Revolution aufrecht; sie baut auf die Vorsehung, die diese "konvulsivische Bewegung zügele", damit "die Menschheit sollte aus dem Traum aufwachen" (an Erhard, 9. März 95). Von Kants 'Ewigem Frieden' erschien 1796 in Kopenhagen eine dänische Übersetzung mit Kommentar. Eine schwedische kündigt Kiesewetter dem Philosophen an (an Kant, 11. April 1797).
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1) Kants in einem Entwurf vom März 1795 (Briefw. III, S. 8) vorhandenes, übrigens ziemlich kurz gehaltenes Danksagungsschreiben an die Daschkow scheint nicht an seine Adresse gelangt zu sein; denn er wurde noch zwei Jahre später von Euler daran erinnert (Kant an Nicolovius und Nicol. an Kant, 7. Juli 97).