Wechsel des Dieners.
Entlassung Lampes


Ende Januar 1802 trat eine große Umwälzung in Kants Haushalt ein: der langjährige Diener Martin Lampe mußte entlassen werden. Nach mehr als 40jähriger Dienstzeit hatte er das Gefühl seiner Unentbehrlichkeit bekommen. Er "mißbrauchte die Güte seines Herrn auf eine unedle Art, drang ihm Zulagen ab, kam zur Unrechten Stunde nach Hause, zankte sich mit der Aufwärterin und wurde überhaupt mit jedem Tage unbrauchbarer zur Bedienung seines Herrn" (Wasianski, S. 103). Er begann zu trinken 1) und er, der seinen greisen Herrn stützen und halten sollte, konnte sich oft selbst nicht gerade auf den Beinen halten. Zudem war ihm, seitdem er nur von Wasianski Geld fordern durfte, manche frühere Bereicherungsmöglichkeit abgeschnitten. Alle Bitten und Warnungen Wasianskis und seiner Gattin waren vergeblich. Trotzdem hätte der Philosoph den Alten, dem er in seinem Testament von 1798 ein Jahrgeld von 200 Gulden, im Falle von Lampes Ableben dessen Frau die Hälfte dieser Summe, im Falle des Todes beider ihren Kindern ein Kapital von 1000 Gulden vermacht hatte, vielleicht noch kurze Zeit behalten, wenn Lampe sich nicht eines Tages, im Januar 1802, so gegen ihn "vergangen" hätte, dass er sogar dem treuen Wasianski es mitzuteilen sich schämte. So bestand jetzt Kant selbst auf seiner sofortigen Entlassung, die denn auch alsbald ins Werk gesetzt werden konnte, da der kluge Wasianski sich für diesen Fall bereits vorgesehen und einen neuen, verständigen und anstelligen Diener, namens Johann Kaufmann, in Bereitschaft hatte, den er am Tage vor seinem Eintritt mit allen Gewohnheiten seines neuen Herrn bis ins kleinste vertraut machte. So ging denn das bei Kants Altersschwächen und eingewurzelten Eigenheiten wirklich "kühne Wagstück" glücklich von statten. Der gute Wasianski kam am folgenden Tag (1. Februar), damit Kant nicht durch das Eintreten einer fremden Person erschreckt würde, schon um 4 Uhr früh und blieb auch den größten Teil desselben da, um alles zu überwachen. Da der neue Diener sich als verständig, ja im Gegensatz zu dem ungebildeten Lampe verhältnismäßig unterrichtet und auch praktisch anstellig erwies, ging die Sache auch weiter gut. Übrigens erhielt der entlassene Lampe doch noch 40 Taler Pension und in seinem Dienstschein den Passus: "Er hat sich treu, aber für mich nicht mehr passend verhalten." In dem betreffenden Testamentsnachtrag vom 22. Februar 1802 wird Kant als "bei noch gesunden Seelen- und Leibeskräften gegenwärtig gefunden" bezeichnet.

Im Frühling 1802 führte Wasianski den Greis, um ihn wieder an ein wenig Bewegung in frischer Luft zu gewöhnen, in seinen Garten; allein der Philosoph fühlte sich in diesem, den er seit Jahren nicht mehr betreten hatte, so fremd und in der freien Luft so beklommen, dass er bald nach der gewohnten Umgebung des Studierzimmers zurückverlangte; doch hat er später noch einige Male in ihm eine Tasse Kaffee getrunken. Naturgefühl scheint er im Alter wenig mehr besessen zu haben. Er sehnte sich nicht, wie andere, nach dem Eintritt des Frühlings, sondern meinte gleichgültig zu Wasianski: "Das ist ja alle Jahre ebenso." Ermutigt durch die Erfahrung mit dem mehrfachen Aufenthalt in freier Luft, suchte der getreue Helfer ihn beharrlich zu einer Wagenfahrt ins Freie zu bereden, die endlich im Juli d. J., im Verein mit Professor Hasse, auch ins Werk gesetzt ward. Sie ging an einem schönen Sommernachmittag nach dem eine halbe Stunde vor dem Steindammer Tor gelegenen Sommerhaus Wasianskis. Der greise Philosoph fühlte sich wie verjüngt, als er während der Fahrt die Türme und öffentlichen Gebäude der Stadt wiedersah, genoß eine Tasse Kaffee sowie einige Tassen dünnen Tees, rauchte sogar eine halbe Pfeife Tabak und freute sich an dem Gesang der Vögel, die er gut voneinander zu unterscheiden wußte. Die gleiche Fahrt wurde bis zum Herbst noch einigemal wiederholt; er wurde zwar müde davon, schlief aber in der nächsten Nacht besser und hatte tags darauf bessere Stimmung und stärkeren Appetit. Hatte er dem Bräutigam seiner Nichte, Pfarrer Schoen in Kurland, am 28. April noch geschrieben: "Meine Kräfte nehmen mit jedem Tage ab, meine Muskeln schwinden", so äußerte er sich jetzt zu Hasse einmal ganz zufrieden: er habe "alle vier Requisiten eines gesunden Menschen: guten Appetit, guten Schlaf, gute Verdauung und Schmerzlosigkeit".

Auch in geistiger Beziehung fand ihn Hasse bei seinen Besuchen in diesem Sommer öfters noch auffallend frisch. So teilt er in seinen 'Merkwürdigen Äußerungen Kants' (S. 20 ff.) eine längere interessante Unterhaltung vom 15. Juni über Namen und Begriff der Philosophie mit, in der freilich vor allem der etwas eitle Berichterstatter sein etymologisches Dicht leuchten ließ. Kant erzählte, er habe an demselben Morgen "viel über den Begriff Gott gedacht und geschrieben". Es sei ihm zwar "sehr schwer" geworden, er leite das aber von der Schwierigkeit des Gegenstandes, nicht von seiner Denkschwäche her. Eine andere Unterhaltung am Buß- und Bettag — damals zwischen Ostern und Pfingsten — betraf eben diese kirchliche Einrichtung. Anfangs spöttelte der Philosoph darüber, meinte aber dann, sie könne doch nützen, wenn jeder an diesem Tage an seine Schuld besonders lebhaft erinnert und zum möglichsten Wiedergutmachen derselben nachdrücklich angehalten würde.2)

 

 

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1) Auf einem Gedächtniszettel Kants aus den letzten Jahren (bei Schubert in Kants S. W., XI, 163) finden sich die Notizen: "Herrn Kriminalrat Jensch zu fragen, wie mein versoffener Bedienter (Lampe) abgeschafft werden soll"; und: "Es ist nicht wahrscheinlich, dass ein anderer suchen werde, den Lampe mir abspenstig zu machen und ihn ... für sich selber anwerben sollte. Denn er ist der Geschicklichkeit nach ein schlechter Bediente, 1. weil er nicht lesen und schreiben kann, 2. weil er obzwar ohne, ja gar wider meine Bewilligung, beweibt ist." Auch das Abdringen verhältnismäßig bedeutender wöchentlicher Geldzulagen durch Lampe ist jetzt durch Warda urkundlich nachgewiesen, (vgl. Kantstudien III, 260).

2) In diese Zeit fallen höchstwahrscheinlich die Partien des Nachgelassenen Werkes, die von Gott handeln, mit den eingestreuten Bemerkungen über den Buß- und Bettag.


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