Drittes Kapitel
Wirkung der Religionsschrift. Die Kabinettsorder vom
1. Oktober 1794. Stellungnahme Kants

Die Gegner


Natürlich erregte die 'Religion innerhalb usw.' sofort nach ihrer Veröffentlichung das größte Aufsehen. Sie gab, wie Kant, selbst bescheiden auf einem 'Losen Blatte' seines Nachlasses vermerkt, "viel Anlaß zu reden". Schon im folgenden Jahre war eine neue Auflage notwendig geworden.

Alles in allem war sie eine Bekenntnisschrift und wirkte als eine solche: die Anhänger waren begeistert, die Gegner wurden nicht überzeugt. Wir haben an anderer Stelle *) Belege dafür zusammengestellt und wollen uns hier nicht wiederholen. Wohl mochte Ammon in Erlangen mit der Behauptung recht haben: Kants Grundsätze seien "unter unseren besseren Theologen" schon zu allgemein, als dass ein plötzlicher Stillstand zu befürchten wäre (an Kant, 28. April 1795). War doch die Anzahl derer nicht mehr gering, die in Königsberg selbst zu des Meisters Füßen gesessen hatten und nun "als Apostel von dannen gingen und das Evangelium vom Reiche der Vernunft lehrten" (Jachmann). Aber es war eine vergebliche Hoffnung Kiesewetters, dass das neue Buch "wenigstens dem elenden Streit der Religionsparteien und der Ketzermacherei ein Ende machen" werde (an Kant, 15. Juni 93). Nur Männer wie Reinhold erklärten, Kants Buch habe ihn den "unbeschreiblichen Trost" gewährt, sich "mit gutem Gewissen, laut und öffentlich einen Christen nennen zu können" (Reinhold an Erhard, 12. August 1793). Die Orthodoxen blieben bei ihrem Ketzermachen. Wohl hatte schon 1788 der Kantianer Abicht in einer besonderen Schrift den "Überzeugenden Beweis" zu führen gesucht, "dass die Kantsche Philosophie der Orthodoxie nicht nachteilig, sondern ihr vielmehr nützlich sei": da ja die theoretische Vernunft erkläre, über das Gebiet des Übersinnlichen nichts aussagen zu können. Ja es gab verstiegene Köpfe wie den Benediktiner-Pater Johann Baptist Schad in Banz, welche Brot und Wein des Abendmahls als Phänomena, Leib und Blut Christi als Noumena auffaßten und behaupteten, dass in Gott als Noumenon auch 1=3 und 3=1 sein könnten. Und der junge westfälische Mediziner Carl Arnold Wilmans schrieb 1797 in Halle eine Dissertation über 'Die Ähnlichkeit zwischen dem reinen Mystizismus und Kants Religionslehre" die er dem Philosophen mit einem langen, von diesem im 'Streit der Fakultäten' abgedruckten Briefe zusandte; aber er verstand unter den "reinen Mystikern" doch nur fromme Menschen, die ohne gottesdienstliche Handlungen und biblische Gesetzbücher das "innere Gesetz ihres Gewissens als Richtschnur und reine moralische Gesinnung als den wahren Gottesdienst ansahen: ein "Kantianismus", der bei ihnen freilich durch ihre mystische Sprache verdeckt sei.

Die eigentlich "Rechtgläubigen" jedenfalls, im katholischen wie im evangelischen Lager, "lästerten" Kant, er suche "die christliche Religion mit teuflischer Bosheit zu untergraben", (Plücker an Kant, 15. März 1796). Ebenso entschieden Stellung nahmen gegen ihn so ehrliche Pietisten wie der um des Philosophen Seelenheil besorgte, heute noch in den frommen Sektirerkreisen des Wuppertals verehrte Dr. Samuel Collenbusch aus Barmen, der ihm mit naiver Offenherzigkeit das schrieb, was andere bloß dachten: "Mein lieber Herr Professor! Des Herrn Kants Vernunftglaube ist ein von aller Hoffnung ganz reiner Glaube. Des Herrn Kants Moral ist eine von aller Liebe ganz reine Moral. Nun entsteht die Frage: In welchen Stücken unterscheidet sich der Glaube der Teufel von dem Glauben des Herrn Kants? — und in welchen Stücken unterscheidet sich die Moral der Teufel und die Moral des Herrn P. Kants?" (an K., 26. Dez. 1794). Während Kant sonst aufrichtig religiösen Unbekannten, wenn sie Verständnis für seine Auffassung zeigten, zu antworten sich nicht hat verdrießen lassen, hat er dem anmaßenden bergischen Sektierer nicht erwidert. Was diesen nicht abgehalten hat, in seinem Bekehrungseifer noch zwei weitere ausführliche und noch heute nicht uninteressante Schreiben an den "lieben Herrn Professor" loszulassen (30. März 95 und 30. März 96).

Wie alle, die eine Vermittlerrolle, zumal in religiösen oder politischen Dingen, zu spielen versuchen, machte Kant es aber auch denen auf der anderen Seite nicht recht. Wir haben schon gesehen, wie der Hellenismus eines Schiller und noch mehr Goethes, der gerade damals in den Jahren nach seiner italienischen Reise sich so recht mit der schönheitsfreudigen Weltanschauung der Antike durchsättigt hatte und zu "entschiedenem Heidentum" bekannte, Kants Festhalten am "radikalen Bösen" ablehnte. Aber auch die Berliner Aufklärer vom Schlage Nicolais fanden sich enttäuscht. Seine Kritik der reinen Vernunft hatte ihre schönen Beweise für das Dasein Gottes umgeblasen, seine praktische Vernunft ihre Nützlichkeits- und Glückseligkeitsethik überwunden, seine Kritik der Urteilskraft ihren flachen Kunsttheorien den Rest gegeben. Und nun fühlten sie sich von neuem unzufrieden, da der kritische Philosoph nicht mit alledem in Christentum und Bibel aufgeräumt hatte, was ihrem "gemeinen Menschenverstand" über die Schnur ging. "Es muß also", schrieb die 'Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek' in einer Besprechung der Schrift, "nach Kants Meinung in Sachen des Kirchenglaubens alles recht hübsch beim Alten bleiben, und die Stützen des religiösen Aberglaubens können nicht abgeschafft, sondern müssen als die unentbehrlichen Fundamente einer moralischen Religion immer beibehalten werden".

Indes die Orthodoxie fühlte doch, dass sie der eigentlich Getroffene war, und richtete danach ihre Maßregeln. Verhältnismäßig einfach war das innerhalb der katholischen Kirche. Als z. B. der geistliche Professor Koller in Heidelberg seine Schüler längere Zeit ungehindert mit Kants Schriften und Grundsätzen bekannt gemacht und schließlich den Satz aufgestellt hatte, aus bloß spekulativer Vernunft lasse sich Gottes Dasein nicht beweisen, ließ ihn sein Pater Superior, ein Franzose, der Kant nicht einmal lesen konnte, vor sich kommen. Umsonst erklärte der ehrliche Priester, dass durch diesen Satz die Religion nicht beeinträchtigt werde, vielmehr unendlich gewinne, umsonst berief er sich auf die Tatsache, dass man Kants Philosophie an den bischöflichen Akademien von Mainz und Würzburg mit großem Beifall lehre. Er ward zum Widerruf, ja sogar zur öffentlichen Widerlegung (!) seines eigenen Satzes verurteilt und, als er sich dessen weigerte, ohne weiteres seines Lehramts enthoben.

Verhältnismäßig leicht konnte der Katholizismus derartige unprogrammmäßige Auflehnungen gegen sein innerstes Prinzip kurz niederschlagen. Gefährlicher mußte die Wirkung Kants der evangelischen Landeskirche und ihren staatlichen Lenkern erscheinen, besonders wenn sie — Wöllner hießen. Zumal da die Kantische Richtung weite Kreise des jüngeren Geschlechtes nicht bloß zu ihren Anhängern zählte, sondern auch zu allerlei Übertretungen veranlaßte. Überall kam die moralische Erklärung auf: man suchte allen möglichen, auch den unbegreiflichsten, Bibelstellen und Dogmen einen moralischen Sinn unterzulegen. Selbst in den theologischen Prüfungen wurden die Examinatoren häufig durch allzu kühne Interpretationsversuche der Kandidaten in Verlegenheit gebracht. Sogar Predigten "nach Kantischen Grundsätzen" wurden gehalten. So war ein Zusammenstoß schließlich unausbleiblich.

 

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*) Einleitung zu meiner Ausgabe der Schrift (Philos. Bibl., Bd. 45), S. L ff.


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Seite zuletzt aktualisiert: 18.01.2007 
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