Transzendentale Apperzeption
Apperzeption, transzendentale. Die transzendentale oder reine Apperzeption ist das rein formale, ursprüngliche, stets identische Selbstbewußtsein, das alles Vorstellen und alle Begriffe begleitende und bedingende Bewußtsein des „Ich denke“, die Beziehung alles Vorstellbaren auf ein es befassendes, sich stets gleich bleibendes Bewußtsein (s. d.). Die „transzendentale Einheit“ der Apperzeption (im Unterschiede von der empirisch-subjektiven, psychologischen Einheit der Apperzeption) ist objektiv; sie ist die Urbedingung aller Erkenntnis, aller Beziehung von Arten auf Objekte, aller Synthese (s. d.), von Daten zur Einheit objektiver Erkenntnis, alles einheitlichen Zusammenhanges in einer Erfahrung überhaupt, aller „Natur“ (s. d.) und der allgemeinen Gesetze (s. d.) derselben. Aus dieser Einheit entspringen die Kategorien und die apriorischen Grundsätze der Erkenntnis; in ihnen selbst entfaltet sich diese Einheit. Soll etwas erfahrbar sein, muß es der Einheit der transzendentalen Apperzeption gemäß sein, es muß durch sie, durch diese „synthetische Einheit“, als Einheitszusammenhang allgemeingültiger Art, d. h. als Erfahrungsgegenstand konstituiert, begründet werden. Da die Kategorien und Grundsätze der Erkenntnis die Grundformen synthetischer Verknüpfung durch die Einheit der Apperzeption sind, so müssen sie für alle Gegenstände möglicher Erfahrung gelten, die insgesamt auf die Einheit der Apperzeption (des „transzendentalen“ Bewußtseins) bezogen sind. Das „Objekt“ (s. d.) als solches setzt eine (wirkliche oder mögliche) Verknüpfung durch die Apperzeption voraus und nimmt notwendig und allgemein, a priori die Formen an, die sich aus der Synthese der Apperzeption ergeben, in dieser (dem „reinen Verstande“) ihren Ursprung haben.
„Das Bewußtsein seiner selbst, nach den Bestimmungen unseres Zustandes bei der inneren Wahrnehmung, ist bloß empirisch, jederzeit wandelbar, es kann kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innerer Erscheinungen geben, und wird gewöhnlich der innere Sinn genannt oder die empirische Apperzeption. Das, was notwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kann nicht als ein solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß eine Bedingung sein, die vor aller Erfahrung vorhergeht und diese selbst möglich macht, welche eine solche transzendentale Voraussetzung geltend machen soll.“ „Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine Verknüpfung und Einheit derselben untereinander, ohne diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht, und worauf in Beziehung alle Vorstellung von Gegenständen allein möglich ist. Dieses reine ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich nun die transzendentale Apperzeption nennen.“ Die „numerische Einheit“ dieser Apperzeption liegt allen Begriffen zugrunde. Diese „transzendentale Einheit der Apperzeption“ macht aus allen möglichen Erscheinungen, die immer in einer Erfahrung beisammen sein können, „einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen nach Gesetzen“. Denn diese Einheit wäre nicht möglich, „wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet. Also ist das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen, d. i. nach Regeln, die sie nicht allein notwendig reproduzibel machen, sondern dadurch auch ihrer Anschauung einen Gegenstand bestimmen, d. i. den Begriff von Etwas, darin sie notwendig zusammenhängen; denn das Gemüt könnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen, und zwar a priori, denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht“, KrV 1. A. tr. Anal. 1. B. 2. H. 2. Abs. 3 (I 713 f.—Rc 186 ff.): vgl. Objekt. — Die Möglichkeit der Kategorien (s. d.) beruht auf der Beziehung aller Erscheinungen auf diese Apperzeption, „in welcher alles notwendig den Bedingungen der durchgängigen Einheit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d. i. unter allgemeinen Funktionen der Synthesis stehen muß, nämlich der Synthesis nach Begriffen, als worin die Apperzeption allein ihre durchgängige und notwendige Identität a priori beweisen kann“. „Alle möglichen Erscheinungen gehören, als Vorstellungen, zu dem ganzen möglichen Selbstbewußtsein. Von diesem aber, als einer transzendentalen Vorstellung, ist die numerische Identität unzertrennlich und a priori gewiß, weil nichts in die Erkenntnis kommen kann, ohne vermittelst dieser ursprünglichen Apperzeption. Da nun diese Identität notwendig in die Synthesis alles Mannigfaltigen der Erscheinungen, sofern sie empirische Erkenntnis werden soll, hineinkommen muß, so sind die Erscheinungen Bedingungen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Apperzeption) durchgängig gemäß sein muß.“ Die Erscheinungen stehen also in einer „transzendentalen Affinität“ (in einer „durchgängigen Verknüpfung nach notwendigen Gesetzen“), wovon die „empirische“ Affinität die Folge ist. Die Natur (s. d.) kann sich nach „unserem subjektiven Grunde der Apperzeption richten“, weil sie selbst nur ein Inbegriff von Erscheinungen ist, als solche also von dem „Radikalvermögen“ aller unserer Erkenntnis der Apperzeption abhängen kann, ibid. 2. Abs. 4 (I 716 ff.—Rc 194 ff.). Die reine Apperzeption, d. h. „die durchgängige Identität seiner selbst bei allen möglichen Vorstellungen“ liegt dem empirischen Bewußtsein und der Erfahrung a priori zugrunde. Die Verknüpfung der Vorstellungen hat in ihr ihren innersten Grund. „Alle Anschauungen sind für uns nichts und gehen uns nicht im mindesten etwas an, wenn sie nicht ins Bewußtsein aufgenommen werden können, sie mögen nun direkt oder indirekt darauf einfließen, und nur durch dieses allein ist Erkenntnis möglich. Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können, bewußt als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem anderen zu einem Bewußtsein gehören, mithin darin wenigstens müssen verknüpft werden können). Dies Prinzip steht a priori fest, und kann das transzendentale Prinzip der Einheit alles Mannigfaltigen unserer Vorstellungen (mithin auch in der Anschauung) heißen. Nun ist die Einheit des Mannigfaltigen in einem Subjekt synthetisch; also gibt die reine Apperzeption ein Prinzipium der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen Anschauung an die Hand“, ibid. 3. Abs. (I 719 f.—Rc 200 f.). Die bloße Vorstellung „Ich“ (s. d.) ist in Beziehung auf alle anderen („deren kollektive Einheit sie möglich macht“), das „transzendentale Bewußtsein“. Ob die Vorstellung „Ich“ klar ist oder nicht, tut nichts zur Sache; die Möglichkeit der logischen Form aller Erkenntnis beruht auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem „Vermögen“, ibid. 1. Anm. (I 720 f.—Rc 202 f.). Die „Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft“ ist der Verstand (s. d.), ibid. 3. Abs. (I 721—Rc 204). Das „stehende und bleibende Ich (der reinen Apperzeption)“ macht das „Corre-latum“ aller unserer Vorstellungen aus, sofern es bloß möglich ist, sich ihrer bewußt zu werden; alles Bewußtsein gehört zu einer „allbefassenden reinen Apperzeption“. Diese macht die Funktion der Einbildungskraft (s. d.) erst „intellektuell“, ibid. (I 724 f.—Rc 212). Die Einheit der Apperzeption ist „der transzendentale Grund der notwendigen Gesetzmäßigkeit aller Erscheinungen in einer Erfahrung“, ibid. (I 727—Rc 218); vgl. Gesetz.
„Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt als: die Vorstellung würde entweder unmöglich oder wenigstens für mich nichts sein.“ „Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese Vorstellung aber ist ein Aktus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine Apperzeption, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter abgebildet werden kann.“
Die Einheit der reinen (ursprünglichen) Apperzeption heißt die „transzendentale Einheit“ derselben oder des (reinen) Selbstbewußtseins, weil sie eine Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis ist. „Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mir ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden.“ Diese „durchgängige Identität der Apperzeption eines in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen enthält eine Synthesis der Vorstellungen und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich. Denn das empirische Bewußtsein, welches verschiedene Vorstellungen begleitet, ist an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts. Diese Beziehung geschieht also dadurch noch nicht, daß ich jede Vorstellung mit Bewußtsein begleite, sondern daß ich eine zu der anderen hinzusetze und mir der Synthesis derselben bewußt bin. Also nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d. i. die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich“, KrV tr. Anal. § 16 (I 151 f.—Rc 173 ff.). Die „synthetische Einheit der Apperzeption“ ist „der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie haften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst“, ibid. Anm. (I 152—Rc 177). Synthetische Einheit a priori ist der Grund der Identität der Apperzeption selbst, per Verstand ist selbst nichts anderes als „das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen“. Dieser „Grundsatz der notwendigen Einheit der Apperzeption“ ist der „oberste“ in der ganzen menschlichen Erkenntnis. Er setzt als notwendig die Synthesis des in einer Anschauung gegebenen Mannigfaltigen; denn ohne sie kann jene durchgängige Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden. „Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt, in Ansehung des Mannigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesamt meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen. Das ist aber so viel, als daß ich mir einer notwendigen Synthesis derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, unter der alle mir gegebenen Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen“, ibid. § 16 (I 153—Rc 177 f.). Der oberste Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung in Beziehung auf den Verstand, das „oberste Prinzip alles Verstandesgebrauchs“, ist der „Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption“: „daß alles Mannigfaltige der Anschauung unter Bedingungen der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption stehe“. „Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse. Diese bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt. Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist. Nun erfordert aber alle Vereinigung der Vorstellungen Einheit des Bewußtseins in der Synthesis derselben. Folglich ist die Einheit des Bewußtseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objektive Gültigkeit, folglich, daß sie Erkenntnisse werden, ausmacht und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes beruht.“ „Um ... irgend etwas im Raume zu erkennen, z. B. eine Linie, muß ich sie ziehen und also eine bestimmte Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch zustande bringen, so daß die Einheit dieser Handlung zugleich die Einheit des Bewußtseins (im Begriffe einer Linie) ist und dadurch allererst ein Objekt (ein bestimmter Raum) erkannt wird. Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art und ohne diese Synthesis das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde.“ Dieser Satz macht die synthetische Einheit zur Bedingung alles Denkens, denn er sagt, „daß alle meine Vorstellungen in irgendeiner gegebenen Anschauung unter der Bedingung stehen müssen, unter der ich sie allein als meine Vorstellungen zu dem identischen Selbst rechnen und also, als in einer Apperzeption synthetisch verbunden, durch den allgemeinen Ausdruck Ich denke zusammenfassen kann“, ibid. § 17 (I 1541—Rc 179 ff.). „Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird. Sie heißt darum objektiv und muß von der subjektiven Einheit des Bewußtseins unterschieden werden, die eine Bestimmung des inneren Sinnes ist, dadurch jenes Mannigfaltige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. Ob ich mir des Mannigfaltigen als zugleich oder nacheinander empirisch bewußt sein könne, kommt auf Umstände oder empirische Bedingungen an. Daher die empirische Einheit des Bewußtseins, durch Assoziation der Vorstellungen, selbst eine Erscheinung betrifft und ganz zufällig ist. Dagegen steht die reine Form der Anschauung in der Zeit, bloß als Anschauung überhaupt, die ein gegebenes Mannigfaltiges enthält, unter der ursprünglichen Einheit des Bewußtseins, lediglich durch die notwendige Beziehung des Mannigfaltigen der Anschauung zum Einen: Ich denke; also durch die reine Synthesis des Verstandes, welche a priori der empirischen zugrunde liegt. Jene Einheit ist allein objektiv gültig“, sie ist notwendig und allgemein geltend, nicht verschieden bei jedem Subjekte, wie die „empirische Einheit der Apperzeption“ ist, ibid. § 18 (I 156 f.—Rc 185 f.). Die Apperzeption („Ich denke“) ist „das Schicksal aller Begriffe überhaupt, und mithin auch der transzendentalen“, ibid. tr. Dial. 2. B. 1. H. (I 349—Rc 418). Der Satz: „Ich denke“ enthält „die Form eines jeden Verstandesurteils überhaupt“ und begleitet alle Kategorien als ihr Vehikel (Ich denke die Substanz, die Ursache usw.), ibid. (I 354, 350— Rc 423, 420). Vgl. Einheit, Identität, Kategorie, Synthesis, Ich, Subjekt, Denken, Urteil, Verstand, Regel.