1431. Verzärteln, verhätscheln¹⁾. Verweichlichen²⁾.
Verziehen³⁾. Verwöhnen⁴⁾.
Verzärteln (eine Weiterbildung des mittelhochd. verzerten, von althochd., mittelhochd. zart, d. i. lieb, geliebt, teuer, fein, schön) heißt: durch zu große Liebe und Zärtlichkeit verwöhnen, so daß der durch eine solche zu große Zärtlichkeit Verwöhnte den rauhen Stürmen des Lebens nicht gewachsen ist, sondern unter diesen schwer zu leiden hat oder wegen zu großer Empfindlichkeit durch diese leichter zugrunde gerichtet wird, als der von Jugend auf an Strenge und Härte Gewöhnte. Gewöhnlich werden Kinder verzärtelt, indem ihnen von Eltern und Verwandten auch da, wo Strenge und unnachsichtiges Bestrafen am Platze wäre, übertriebene Zärtlichkeit und Nachsicht bewiesen wird. Doch kann verzärteln auch von jeder andern übertriebenen Nachsicht, z. B. gegen sich selbst, gegen seinen Körper (indem man Anstrengungen, kaltes Baden, Spazierengehen bei schlechtem Wetter usw. ängstlich vermeidet), gegen sein Herz, gegen seinen Charakter usw., gebraucht werden. „Es ist ein schwaches, verzärteltes Ding, mein Herz, mit dem Sie Mitleiden haben müssen,“ sagt Leonore zu Fiesko. Schiller, Fiesko III, 3. Verhätscheln (von hätscheln, dessen Herkunft dunkel ist; vielleicht ist das Wort eine Iterativbildung zu hegen und Hag, vgl. Pauls und Braunes Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur XIV, 461) kann man nur andere; es heißt soviel wie: liebkosend hegen und pflegen, zärtlich behandeln. Während das Verzärteln auch ohne äußerliche Zeichen der Zärtlichkeit geschehen kann, tritt beim Verhätscheln besonders die Äußerung großer Zärtlichkeit durch Liebkosen, Streicheln usw. in den Vordergrund. Man hätschelt Kinder, Schoßhündchen, kleine Katzen, Kanarienvögel usw. Verzärteln kann von Tieren nicht gesagt werden. Verhätscheln ist mehr ein Wort der traulichen Umgangssprache, während verzärteln lediglich der höheren Schreibweise angehört. Goethes Mutter nannte ihren Sohn, unsern großen Dichter, mit Vorliebe ihren Hätschelhans. „So ist er (Selicour) der Liebling des ganzen Hauses, von der Mutter gehätschelt, von der Tochter geschätzt,“ sagt La Roche in Schillers Parasiten zu Karl Firmin. Schiller, Der Parasit I, 2. „Wie milde und freundschaftlich werden da tausend kleinere Züge und Zeichen des Neides, der Mißgunst behandelt und gehätschelt.“ Gottfried Keller, Die Leute von Seldwyla (Stuttgart 1883) I, 161. Von dem „verhätschelten Feldherrn“ spricht Conrad Ferdinand Meyer in seiner Novelle „Die Versuchung des Pescara“ (Leipzig 1889) S. 271. — Verweichlichen ist allgemeiner als verzärteln und verhätscheln. Es bezeichnet nicht nur eine Verwöhnung durch Zärtlichkeit und Liebkosungen wie diese beiden Wörter, sondern durch zu große Weiche, durch eine zu rücksichtsvolle, ängstlich vorsichtige Behandlung überhaupt. Verweichlichen heißt sowohl: weichlich machen, als: weichlich werden. Man verweichlicht ein Kind, wenn man ihm jede Anstrengung, jede strenge Bestrafung, jedes harte Wort und jeden harten Dienst ängstlich erspart. Man sagt dann aber auch von dem Kinde selbst: es verweichlicht durch eine solche sentimentale Art der Behandlung ganz und gar. Es kann körperlich, geistig, sittlich verweichlichen. Wer körperlich verweichlicht ist, erkältet sich leicht und erkrankt öfter und schwerer, als der körperlich Abgehärtete. Der Weichling ist wenig geeignet für den Kampf des Lebens. Die moderne Erziehung ist daher vor allem auf Abhärtung des Körpers und Stählung des Willens und der Kraft gerichtet. Goethe gebrauchte für verweichlichen auch noch das schöne alte Wort verlindern (von lind, d. i. weich), z. B. „Nichts verlindert und nichts verwitzelt, nichts verzierlicht und nichts verkritzelt,“ Goethe, Hans Sachsens poetische Sendung. Verweichlichen kann jemand in allen Verhältnissen des Lebens; das Wort bezieht sich nicht bloß auf die Erziehung. Dagegen heißt verziehen nur: durch zu große Milde, oder durch mangelnde Konsequenz schlecht erziehen. (Die Bedeutung von verziehen = verzögern oder wegziehen, kommt selbstverständlich hier als nicht sinnverwandt nicht in Betracht.) Es kann einer durch seine Eltern und Lehrer, aber auch durch das Schicksal (z. B. wenn ihm alles glückt) verzogen werden. Dem Verzogenen haften allerlei üble Charaktereigenschaften, namentlich: Eigensinn, Übermut, Hochmut, Härte und Grausamkeit gegen andere, Starrsinn usw. an, was bei dem Verzärtelten, Verhätschelten oder Verweichlichten gar nicht der Fall zu sein braucht. Den Verzogenen schildert Goethe sehr gut in den folgenden Worten: „Sich etwas zu versagen, war Eduard nicht gewohnt. Von Jugend auf das einzige, verzogene Kind reicher Eltern, die ihn zu einer seltsamen, aber höchst vorteilhaften Heirat mit einer viel älteren Frau zu bereden wußten, von dieser auch auf alle Weise verzärtelt, indem sie sein gutes Betragen gegen sie durch die größte Freigebigkeit zu erwidern suchte, nach ihrem baldigen Tode sein eigener Herr, auf Reisen unabhängig, jeder Abwechslung, jeder Veränderung mächtig, nichts Übertriebenes wollend, aber viel und vielerlei wollend, freimütig, wohltätig, brav, ja tapfer im Fall — was konnte in der Welt seinen Wünschen entgegenstehen.“ Die Wahlverwandtschaften. Erster Teil, zweites Kapitel. — Verwöhnen (mittelhochd. verwenen) heißt eigentlich: schlecht gewöhnen, so daß der Verwöhnte sich allerlei üble Gewohnheiten angeeignet hat. Man kann sich selbst und andere verwöhnen. Gewöhnlich hat aber verwöhnen den Nebensinn des Verzärteins, weil das Verwöhnen auf zu großer Milde und Nachsicht gegen sich selbst oder andere beruht. Ein verwöhntes Kind ist daher zugleich ein verzärteltes. Man spricht daher auch von einem verwöhnten Schoßkind des Glückes. Da verwöhnen ursprünglich soviel heißt wie: verkehrt gewöhnen, so wurde früher auch zu verwöhnen mit der Präposition an wie bei gewöhnen der Gegenstand hinzugefügt, an den jemand durch verkehrte Gewohnheit gebunden wurde, z. B. „ans Alte verwöhnt“ (Jean Paul); „zur Üppigkeit verwöhnt“ (Uz); „weil diese Stücke unser Publikum an die starke Kost verwöhnen“ (Iffland). Moser sagt sogar: „von etwas verwöhnen (d. i. entwöhnen)“, z. B. „die Wollust verzärtelt und verwöhnt den Geist von den alten ehrlichen Tugenden.“ Patriotische Phantasien I, 131. Diese Konstruktionen sind nicht mehr üblich, sondern verwöhnen steht heute nur noch ohne sachliches Objekt.