372. Ding¹⁾. Wesen²⁾.
Ding bezeichnet den Gegenstand von Seiten seiner Wirklichkeit und Individualität, Wesen (von dem alten Verbum wësen, d. i. sein) von der Seite seiner unveränderten Eigenschaften, durch die sich die Gattung, zu der er gehört, von allen andern unterscheidet. Alles, was uns umgibt und in die Sinne fällt, ist etwas Wirkliches und Individuelles; wir nennen es daher die Dinge, nicht die Wesen, die uns umgeben. Das Wesen eines Dinges sind die notwendigen Merkmale desselben, durch die es sich von andern Dingen unterscheidet; man nennt daher solche Merkmale auch wesentliche, im Gegensatz zu den zufälligen, unwesentlichen. Dann bezeichnet Wesen aber auch wirkliche Dinge, aber immer in Rücksicht auf allgemeine Merkmale, durch die ein Ding einer Gattung zugehört, z. B. körperliche, unkörperliche, persönliche, geistige, tierische Wesen usw., oder es bezeichnet ein Ding nach seiner hervorstechenden Eigenart, z. B. diese Frau ist ein wunderbares, seltsames, liebenswürdiges, besauberndes Wesen usw. Wesen ist der edlere Ausdruck und wird namentlich gebraucht, um die höher organisierten Dinge zu bezeichnen. So spricht man von leblosen, toten Dingen, aber von lebenden Wesen; man nennt Gott das erhabene Wesen (nicht Ding) usw., daher ist es bezeichnend für Goethes Art, für das Bedeutende einen unbedeutenden, oft alltäglichen Ausdruck zu wählen, wenn er Gott das „liebe unsichtbare Ding“ nennt (Schöll, Briefe und Aufsätze von Goethe, S. 158). — „Kein Wesen kann zu nichts zerfallen.“ Goethe, Vermächtnis. „Dich ergreift nicht der Strom dieses erhabnen Gesangs? | Nicht der begeisternde Takt, den alle Wesen dir schlagen.“ Schiller, Der Tanz. „Ein liebes Ding“ ist auch vertrauliche, liebkosende Bezeichnung für ein Kind, ein Mädchen usw. — „'s ist eine der größten Himmelsgaben, so ein lieb Ding im Arm zu haben.“ Goethe, Faust I, Der Nachbarin Haus. Das Wort Ding hat zwei Plurale, Dinge und Dinger. Der Plural Dinger enthält den Nebenbegriff des Kleinen und Unwichtigen. „Nicht einmal wüßte ich, wer jene häßlichen Dinger der Griechen Nereiden genannt hätte.“ Voß.