464. Enthusiasmus¹⁾. Begeisterung²⁾.
Schwärmerei³⁾.
Ein Schwärmer ist der, dessen Geist durch irgend einen Gedanken an Dinge, die ihm hoch und erhaben erscheinen, lebhaft erregt wird und zwar so, daß dabei alle Herrschaft der Vernunft verloren geht und ein dunkles, verworrenes Gefühl von dem Gegenstande, der ihn erregt, die Oberhand behält; gewöhnlich ist dieser Gegenstand noch dazu ein großes Gebild seiner Phantasie, das er für wirklich hält. Daraus folgt ganz natürlich, daß dem Schwärmer alle kalte Untersuchung, alle Beurteilung der Vernunft verhaßt ist, weil sie den blinden Glauben erschüttert, bei dem ihm so wohl ist, und daß er die plötzlichen Einfälle, die aus der Unklarheit seiner Seele hervorgehen, für göttliche Antriebe und Offenbarungen hält. Denn da er sich ihres natürlichen Entstehens nicht bewußt ist: so muß er sie notwendig einer übernatürlichen Einwirkung zuschreiben. Begeisterung (eig. der Zustand, in dem einer mit dem heiligen Geist erfüllt ist, wie z. B. die Apostel am Pfingstfest zu Jerusalem, dann überhaupt mit Geist und erhöhtem Leben) bezeichnet dagegen das rechte Maß erhöhter Lebendigkeit des Geistes, das darin besteht, daß das mächtig aufflammende Leben des Geistes die Herrschaft der Vernunft nicht durchbricht und große Gebilde der Phantasie nicht mit der Wahrheit und Wirklichkeit verwechselt. Enthusiasmus (Enthusiast ist eigentlich einer, en ho theos esti, d. i. einer, in dem Gott ist; entheos, zusammengezogen enthus, d. i. voll von Gott, „des Gottes voll“, wie Schiller in den Kranichen des Ibykus sagt) ist nur das griechische Wort für unser christlich deutsches Begeisterung. Beide Worte sind also eigentlich nicht zu scheiden; dennoch wird zuweilen Begeisterung als das edlere, höhere, Enthusiasmus als das bald verrauchte, flüchtige, geringere gebraucht. Goethe und Schiller kennen diesen Unterschied noch nicht, aber der Sprachgebrauch der Gegenwart macht ihn oft. Es ist eine erfreuliche Erscheinung, daß die deutsche Bezeichnung anfängt einen edleren Klang zu gewinnen, als die fremde; so bezeichnet z. B. auch edle Leidenschaften das höhere, noble Passionen das geringere u. ähnl. Der große Künstler muß nicht bloß ein Enthusiast für seine Kunst sein, er muß sich, wenn er schafft, begeistert fühlen. Raffael liebte die Malerei mit Enthusiasmus und arbeitete mit Begeisterung. „Das Beste, was wir von der Geschichte haben, ist der Enthusiasmus, den sie erregt.“ Goethe, Spr. i. P. 30. „Begeisterung ist keine Heringsware, | die man einpökelt auf viele Jahre.“ Derselbe. — Auch das Fremdwort Fanatismus gehört hierher. Unter Fanatismus (von lat. fanaticus, begeistert, das auf fanum, Heiligtum, zurückzuleiten ist) versteht man ursprünglich die schwärmerische Anhänglichkeit an Glaubenssätze, die häufig soweit geht, daß man Andersgläubige verurteilt oder wohl gar verfolgt oder zu bekehren sucht. Man hat das Wort daher auch mit Glaubensschwärmerei oder Glaubenswut verdeutscht. Die spanischen Inquisitionsgerichte gingen mit fanatischem Eifer gegen Andersgläubige vor. Dann hat man das Wort Fanatismus auch auf andere Verhältnisse übertragen und versteht im weiteren Sinne unter Fanatismus die schwärmerische, blinde, allen Gegengründen unzugängliche Anhänglichkeit an irgend eine Meinung oder Behauptung. So kann einer z. B. fanatischer Anhänger irgend eines Staatssystems, irgend einer Unterrichtsmethode, einer Hypothese usw. sein. Auch hier verbindet sich mit dieser schwärmerischen Anhänglichkeit Ungerechtigkeit gegen Andersdenkende. Während die Begeisterung und der Enthusiasmus sehr lobenswert sind und die Schwärmerei nicht immer tadelnswert zu sein braucht, ist der Fanatismus stets und unter allen Umständen verwerflich. „Doch, Muse, wohin reißt dich die Adlerschwinge | der hohen trunknen Schwärmerei?“ Wieland, Oberon. „Freier Himmel, bereit liegende Waffen, Wahnsinn im Gehirne und im Herzen Erbitterung kommen dem Wink eines fanatischen Redners zu Hilfe, die Gelegenheit ruft, keine Verabredung ist nötig, wo alle Augen dasselbe sagen; der Entschluß ist geboren, noch ehe das Wort ausgesprochen wird; zu einer Untat bereit — keiner weiß es noch deutlich, zu welcher! — rennt dieser wütende Trupp auseinander .... Fanatismus gibt dem Greuel seine Entstehung; aber niedrige Leidenschaften, denen sich hier eine reiche Befriedigung auftut, bringen ihn zur Vollendung.“ Schiller, Abf. d. Niederl.