508. Ernst¹⁾. Strenge²⁾.
Die Strenge (von dem Adjekt. streng, mhd. strenge, ahd. strengi, d. i. stark, tapfer, hart, unfreundlich, verwandt mit engl. strong) bestraft jedes Vergehen, auch das unbedeutendste, und zwar mit der größtmöglichen Strafe, weil sie dasselbe hart beurteilt, es sei in Rücksicht auf dessen Folgen oder vom Standpunkte ihrer Moralität aus, oder aus beiden Rücksichten. Der Ernst in den Strafen entsteht aus der Vorstellung von der Wichtigkeit des Vergehens verbunden mit der Vorstellung von der Wichtigkeit und Notwendigkeit der Bestrafung und der Schädlichkeit der Straflosigkeit. „Willst du wider ein fliegend Blatt so ernst sein?“ Hiob 13, 25. Da der Ernst immer einen wichtigen Zweck vor Augen hat, so bestraft der Ernst nur um des wichtigen Zweckes willen, Vergehen zu hüten. Die Strenge kann ohne diese Absicht stattfinden, sie geht bloß auf die Stärke der Strafe oder der Beurteilung. Ein strenger Sittenrichter tadelt und verdammt oft ohne Schonung und Nachsicht aus Schadenfreude und Schmähsucht und verurteilt zu den härtesten Strafen im Zorn oder aus Gefühllosigkeit. Der Ernst, womit ein gewissenhafter Sittenlehrer die herrschenden Laster straft, kann oftmals Strenge sein; er darf sie nicht schonen, weil er sie bekämpfen will; die Strenge aber kann ohne Ernst sein. Man ist auch strenge aus Menschenhaß, aus Eifersucht, aus Stolz, aus Heuchelei. „Nicht Strenge legte Gott ins weiche Herz | des Weibes — und die Stifter dieses Reichs, | die auch dem Weib die Herrscherzügel gaben, | sie zeigten, daß Strenge nicht die Tugend | der Könige soll sein in diesem Lande.“ Schiller, Mar. Stuart II, 3.