473. Entwenden¹⁾. Stehlen²⁾. Rauben³⁾. Mausen⁴⁾.
Entwenden (eig. von andern wegwenden) heißt, etwas dem rechtmäßigen Besitzer nehmen, um es zu seinem eigenen Nutzen zu verwenden, wobei man sogar die Absicht haben kann, es nach dem Gebrauche jenem zurückzugeben. „Er (Ferdinand) nahm sich sogleich vor, die Summe, die er seinem Vater entwendet hatte, und die er noch wohl wußte, wieder zu sammeln und sie ihm auf die eine oder andere Weise zuzustellen.“ Goethe, Unterh. deutsch. Ausgew. Dieser Nebenbegriff fehlt bei stehlen (ahd. stëlan, d. i. heimlich wegnehmen). Auch wird entwenden nicht wie stehlen von großen Diebstählen, die von Gewalt, Einbruch oder großen Anstalten und Zubereitungen begleitet sind, gebraucht. Rauben (von ahd. roub, Raub, Beute, d. i. die Siegesbeute, die im Gewand des Besiegten bestand; daher bedeutete das Wort auch: Rüstung, Kleid, d. i. ursprüngl. erbeutetes Kleid, dann Kleid überhaupt; ins Romanische drang das Wort daher in doppelter Bedeutung, z. B. ital. ruba, Raub, frz. dérober, stehlen, und ital. roba, Kleid, Rock, frz. robe, Kleid) geschieht auf freier Straße mit offener Gewalt und setzt Widerstand voraus; stehlen kann auch unvermerkt und ohne Widerstand geschehen, sofern nur Heimlichkeit und List dabei gebraucht wird und gewisse Vorbereitungen dazu nötig sind. So nähert sich der Begriff des Stehlens mehr dem Entwenden, welches auch keine offene Gewalt voraussetzt. Noch allgemeiner wird der Begriff desselben, wenn man von dem Stehlen auch den Begriff großer Vorbereitungen absondert, und es drückt dann allgemein die Unrechtmäßigkeit in der Aneignung fremden Eigentums, entwenden aber die Handlung aus, durch die der Dieb sich in den Besitz desselben setzt. Man kann daher sagen, daß ein Schuldner, der seine Schulden nicht bezahlt, seinen Gläubiger bestehle, nicht aber, daß er ihm sein Geld entwende. „Ob sie (Margarete) sich gleich über ein solches Mittel zu einem guten Zweck kein Gewissen machte, so beruhigte sie sich doch über jeden Zweifel vorzüglich dadurch, daß diese Art der Entwendung für keinen Diebstahl angesehen werden könne, weil sie das Geld nicht mit den Händen weggenommen habe.“ Goethe, Die guten Weiber. Mausen (eig. Mäuse fangen, z. B. die Katze läßt das Mausen nicht; mhd. mûsen) wird vom Entwenden geringer Dinge und Kleinigkeiten gebraucht und ist ein niedriger Ausdruck, der in guter Sprache nicht gebräuchlich ist. — Hierher gehören noch die Ausdrücke: einbrechen, widerrechtlich aneignen, annektieren, wegkapern, wegpraktizieren, eskamotieren, wegstibitzen, lange Finger machen, klemmen. Einbrechen bezeichnet die Form des Stehlens, bei der ein verschlossener Raum mit Gewalt oder durch Nachschlüssel geöffnet wird; ursprünglich ist gemeint: eine gewaltsame Öffnung in die Mauer brechen. Widerrechtlich aneignen ist ein allgemeiner, gewählter und verhüllender Ausdruck für jede Form unrechtmäßigen Erwerbs und schließt neben dem Diebstahl auch den Betrug und Unterschleif ein. Annektieren (von lat. annectĕre, anknüpfen) bezeichnet die gewaltsame Einverleibung eines eroberten Staates in den Staat des Siegers, wird aber in humoristischer Sprache des Volks auch von kleineren Diebstählen gebraucht, die in dem Wegnehmen eines offen daliegenden Gegenstandes bestehen. Wegkapern bezeichnet das Wegfangen eines Schiffes durch Seeräuber, dann aber auch im Kriege das Wegfangen feindlicher Schiffe durch bevollmächtigte Freibeuter (von Caper, frz. capre, der Freibeuter, auch: das Raubschiff, von lat. capĕre, fangen); auch dieses Wort wird in der Volkssprache im Scherz auf das Wegnehmen anderer Gegenstände angewendet, es bezeichnet dann aber, daß sich jemand rechtmäßig, aber mit List einer Sache bemächtigt, z. B. Er hat mir diese gute Stelle weggekapert. Wegpraktizieren hebt hervor, daß jemand etwas unbemerkt auf die Seite bringt, wie einer der als Zauberer praktiziert, d. h. allerlei Praktiken, d. i. Kunstgriffe, Schliche, Ränke versteht. „Mercurius ist unser Mann, der’s Praktizieren trefflich kann.“ Schiller, Räuber IV, 5. Das heimliche, ganz unvermerkte Wegnehmen bezeichnen auch stibitzen, wegstibitzen und eskamotieren. Stibitzen oder wegstibitzen stammt aus der Studentensprache: es scheint eine Weiterbildung von niederd. stippen, mittelhoehd. stüpfen, d. i. anstechen, anspießen zu sein. Das Wort kommt zuerst in Bürgers Gedicht: Zum Spatz vor, wo es V. 17 und 18 heißt: „Die Kirschen, die ... er vor dem Maul mir wegstibitzt.“ Die ursprüngliche Schreibung stipitzen erscheint daher als die richtigere. Das Wort wird nur in der Volkssprache, und zwar in scherzhafter Bedeutung angewendet. Eskamotieren (von frz. escamoter, verschwinden lassen; von dem span. kamodar, d. i. verwechseln, vertauschen, camodador heißt im Spanischen der Taschenspieler; zugrunde liegt lat. commutare, verwechseln, vertauschen) ist zunächst ein technischer Ausdruck für die Tätigkeit des Taschenspielers, der Gegenstände auf rätselhafte Weise verschwinden läßt oder vertauscht; davon ist dann das Wort in scherzhafter Weise in der Volkssprache auf das unbemerkte Wegnehmen von Dingen überhaupt übertragen worden. Lange Finger machen ist eine nur in der Umgangssprache übliche humoristische Umschreibung für stehlen. Klemmen ist scherzhafter studentischer Kraftausdruck für stehlen. Mundartlich gibt es für stehlen geradezu eine Fülle von Ausdrücken. So sagt man z. B. für stehlen in Berlin: atern, ausführen, ausspannen, izen, kiesen, klemmen, mausen, mopsen, patern, schießen, stemmen, striezen, sich zu Jemüte ziehen u. a. (Der richtige Berliner, 4. Aufl. S. 157).