631. Gänseblume, Gänseblümchen¹⁾. Maßliebchen²⁾. Wucherblume, Chrysanthemum³⁾.
Als Gänseblume bezeichnet man sowohl das kleine Gänseblümchen (Bellis perennis), das man auch Tausendschönchen nennt, als auch die große Wucherblume (Chrysanthemum leucanthemum). Man darf aber die große Wucherblume niemals Gänseblümchen und das Gänseblümchen niemals Wucherblume oder Chrysanthemum nennen. Maßlieb oder gewöhnlich Maßliebchen (mittelniederländ. matelief, neuniederländ. madelief; der Ursprung ist dunkel; Kluge stellt es mit W. van Helten zu mittelniederl. mate, klein, d. i. mäßig; doch ist diese Vermutung sehr zweifelhafter Natur) diente ursprünglich zur Bezeichnung des Gänseblümchens, wurde dann aber auch auf die Wucherblume, die große Gänseblume, das Chrysanthemum übertragen. Und hier vollzog sich eine anmutige Volksetymologie. Da junge Leute und besonders Mädchen die Blütenblätter der Wucherblume, die auch Marguerite genannt wird, zu zupfen pflegen, um daraus zu erfahren, ob sie von einer bestimmten Person geliebt werden, so wurde die Blume zum Liebesorakel, und man deutete infolgedessen das Wort „Maßliebchen“ als: Liebesmaß oder Liebesmesser, als das Maß, das uns das Lieb oder Liebchen zuteilt. Das Liebesorakel vollzieht sich in der Weise, daß das junge Mädchen oder der junge Bursche beim Auszupfen eines jeden Blütenblattes die Worte murmelt: „Er (sie) liebt mich! Er (sie) liebt mich nicht!“ oder: „Er (sie) liebt mich von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig, gar nicht!“ und den Ausspruch, der auf das letzte Blatt fällt, für die zutreffende Offenbarung des Orakels hält. Bekanntlich hat Goethe im Faust (I. Teil, Garten) dieses Befragen des Maßliebchens in bezaubernder volkstümlicher Art in sein unsterbliches Stück verwoben: „Margarete: Laßt einmal! (Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern). Faust: Was soll das? Einen Strauß? Margarete: Nein, es soll nur ein Spiel. Faust: Wie? Margarete: Geht! Ihr lacht mich aus. (Sie zupft und murmelt)“ usw. Durch diese Volksetymologie hat sich nun die Wandlung vollzogen, daß man in verschiedenen Gegenden Deutschlands mit Maßliebchen nur die große Gänseblume, die Wucherblume, auch Sternblume genannt (Chrysanthemum leucanthemum), bezeichnet und den Namen auf das kleine Gänseblümchen nicht mehr anwendet.
Chrysanthemum, n., oder Chrysantheme, f. (d. i. Goldblume, gelbe Wucherblume; aus griech. chrysos, Gold, und anthos, Blume) bezeichnet eigentlich die gelbe Wucherblume, dann aber auch die mit weißen Blütenblättern, die Marguerite. Ferner werden mit dem Namen Chrysanthemum auch künstlich von Gärtnern gezogene große gefüllte Blumen bezeichnet, die als Zierblumen verwendet, von Herren im Knopfloch getragen werden usw. Chrysanthemum ist die wissenschaftlich-botanische Bezeichnung wie für das Gänseblümchen Bellis. Der Name Chrysanthemum wird aber auch in der Umgangssprache der Gebildeten sehr häufig angewendet. Maßliebchen hat einen reizenden volkstümlichen Klang.