554. Faul¹⁾. Träge²⁾. Schlaff³⁾. Lässig⁴⁾. Fahrlässig⁵⁾. Nachlässig⁶⁾. Phlegmatisch⁷⁾. Verdrossen⁸⁾.
Wer faul (eig. das Stinkende, in Verwesung Befindliche, mhd. vûl, ahd. fûl, von der Wurzel fu, pu, d. i. den Geruch der Verwesung von sich geben; verwandt mit lat. pus, Eiter, putere, stinken, gr. puon, Eiter) ist, scheut die Tätigkeit. Der Träge (mhd. træge, ahd. trâgi, langsam, verdrossen, träge, von der Wurzel treg, traurig, mißmutig sein, got. trigo, Traurigkeit, altsächs. trâgi, Verdruß) handelt, er bewegt sich, aber langsam und schleppend. Die träge Bewegung ist der raschen entgegengesetzt. Der Träge und der Rasche bewegen sich, nur der eine langsam, der andere schnell. Die Begriffe von langsam und geschwind sind aber relativ, und daher kann das, was in Vergleich mit Langsamen sehr schnell ist, in Vergleich mit etwas Schnellerem träge heißen. Ferner haben unsere Urteile über Langsamkeit und Geschwindigkeit auch subjektive Gründe. Was daher dem einen schnell scheint, kann dem andern langsam, was dem einen rasch scheint, kann dem andern träge scheinen. So scheint sich die Zeit langsam fortzubewegen, wenn wir etwas mit Ungeduld erwarten. Indes bewegt sie sich doch mit immer gleichem Schritt. „Eine kurze Nacht | hat meiner Jahre trägen Lauf beflügelt.“ Schiller, Don Carl. V, 11. Wer aus Mangel an Kraft und Lust träge ist, heißt schlaff (schlaff oder schlapp ist eigentlich die Bogensehne, die nicht angespannt ist, schlaff also eig. einer, der seine Kräfte, seine Glieder nicht anspannt, mhd. slaf, ahd. slaf, verwandt mit lat. labi, im Sinne von zusammensinken, zusammenschwinden, labare, schwanken; Gegens. straff, angespannt). Von seiten der Art und des Grades der Untätigkeit kommt der Lässige, der Phlegmatische, der Verdrossene dem Faulen und Trägen am nächsten. Aber ihr Mangel an Tätigkeit hat verschiedene Ursachen. Bei dem Lässigen (von laß, d. i. matt, einer, der vor Mattigkeit zurückbleibt, lat. lassus, matt, schlaff) ist es das Gefühl der Mühe, das ihm alle Tätigkeit beschwerlich macht. Der Gegensatz zu lässig ist eifrig, wie zu faul fleißig. Wenn es dem Lässigen an Eifer fehlt, so fehlt es dem Phlegmatischen (eig. einer, der an zähem Schleime leidet, von gr. phlegma, zäher Schleim; die Griechen benannten das am wenigsten lebhafte der vier Temperamente danach) an Empfindlichkeit. Um den Menschen zur Tätigkeit zu reizen, müssen die Gegenstände mit gehöriger Stärke auf seine Empfindung wirken. Ist er gegen alle angenehmen und unangenehmen Eindrücke unempfindlich, so kann nichts ein merkliches Begehren und Verabscheuen in seiner Seele wirken, es kann ihn also nichts zur Tätigkeit bewegen. Er bleibt also nicht untätig, weil er die Mühe scheut, wie der Lässige, sondern weil ihn nichts zum Handeln reizen kann. Verdrossen (vgl. Art, 350) ist derjenige, dessen Mangel an Tätigkeit aus innerm Verdrusse entspringt. Zu dem Anhalten in der Arbeit gehört eine gewisse Freudigkeit, die uns entweder die innere Liebe zur Sache oder eine äußere Aufmunterung gibt. Der Mangel an dieser Freudigkeit verfehlt nicht, bald einen nachteiligen Einfluß auf den Eifer des Arbeiters zu haben, und man sieht es bald seinen erstorbenen Bewegungen an, daß er nur verdrossen fortarbeitet. Fahrlässigkeit und Nachlässigkeit sind besondere Arten von Mangel an Tätigkeit. Ein wichtiger Gegenstand, der uns zu beschäftigen verdient, erfordert einen gewissen Grad der Anstrengung und Sorgfalt; wer es daran fehlen läßt, ist nachlässig, er läßt in der Anstrengung seiner Kräfte nach. Wer seine Pflichten und Geschäfte nachlässig betreibt, dem fehlt es an der gehörigen Aufmerksamkeit, um die dienlichsten Mittel zu ihrer glücklichen Erfüllung zu gebrauchen, die besten Gelegenheiten, die sich darbieten, wahrzunehmen und zu benutzen, und die erschwerenden Hindernisse vorherzusehen und ihnen zuvorzukommen. Ein nachlässiger Anzug verrät den Mangel an Mühe und Sorgfalt, der zur Reinlichkeit und zum Anstande erforderlich ist. Fahrlässig (eig. der die Dinge fahren, d. i. sich bewegen, gehen läßt, wie sie wollen) ist derjenige, dem es an dem gehörigen Ernste und der daraus entspringenden Aufmerksamkeit fehlt, Kinder sind fahrlässig, weil sie ihre Gedanken noch nicht sammeln und nicht mit einem merklichen Grade der Aufmerksamkeit, wenigstens nicht anhaltend, auf eine Sache richten können, auch noch nicht Überlegung genug haben, um die Wichtigkeit einer Beschäftigung, zu der man sie anhält, zu fühlen. Erwachsene sind fahrlässsig aus Leichtsinn, Gedankenlosigkeit und Zerstreuung. Der Fahrlässige ist nicht faul, träge, lässig oder phlegmatisch. Er kann tätig sein; aber wenn er es ist, so richtet er seine Tätigkeit nicht auf den Gegenstand, der ihn beschäftigen soll, er vergißt über jedem Eindruck, der ihm gefällt, das, woran er denken sollte. Der Faule ist untätig, weil er nichts als die Ruhe liebt, und er macht sich dadurch verächtlich; denn er und alle seine Kräfte sind für ihn und andere Menschen unnütz; er tut nichts Gutes, und das Böse, das er nicht tut, unterläßt er nicht, weil es böse ist, sondern weil es ihn in Bewegung setzen würde. Die Tätigkeit des Trägen ist gering und langsam, weil sie ihm beschwerlich ist, die des Schlaffen, weil er körperlich oder geistig kraftlos ist. Der Lässige ist nicht munter in seinen Verrichtungen; er scheut alles, was ihm Mühe macht, und der innere Trieb zur Tätigkeit ist nicht stark genug, um ihn zu ermuntern, sich der Mühe zu unterziehen. Der Phlegmatische bleibt in seiner Untätigkeit, weil er gegen alles gleichgültig ist, was gewöhnlich einen Menschen in Bewegung setzt, Der Verdrossene läßt die Arbeit liegen oder setzt sie nur schwach fort, weil er niedergeschlagen ist und es ihm an Aufmunterung fehlt. Dem Nachlässigen fehlt es an Aufmerksamkeit und Sorgfalt in dem, was ihn beschäftigen sollte; es sei, daß es ihm zu viel Mühe macht, oder daß er es nicht für wichtig genug hält. Der Fahrlässige verrichtet seine Pflichten schlecht; ihm entgeht alles, was zur glücklichen Erfüllung derselben gehört, weil er gedankenlos und zerstreut ist. Den Faulen muß man durch Verachtung, und, wo das nicht helfen will, durch Zwang aus seiner Untätigkeit herausreißen; den Trägen muß man aus seiner gemächlichen Ruhe aufrütteln, den Schlaffen zur Anspannung seiner Kräfte (gewöhnlich durch Gewährung der nötigen Erquickung, Ruhe oder Erholung) anregen; den Lässigen muß man anspornen, um seinen Eifer zu wecken, den Verdrossenen aufmuntern, den Phlegmatischen reizen, den Nachlässigen zur Aufmerksamkeit und Sorgfalt sowie den Fahrlässigen zum Nachdenken und zur Sammlung seiner Gedanken durch angemessene Zucht gewöhnen.