558. Fehlen¹⁾. Irren²⁾.
Fehlen ist allgemeiner als irren; es deutet sowohl an, daß man etwas unrichtig erkenne, etwas Falsches oder nur Scheinbares für wahr oder wirklich halte, als auch, daß man unrecht handle. Ferner kann es ebensogut ein vorsätzliches wie ein unvorsätzliches Erkennen oder Handeln dieser Art bezeichnen. Irren geht zunächst nur auf unrichtiges Erkennen, und erst in zweiter Linie wird es auch von unrechten Handlungen gebraucht, aber nur von solchen, die aus einer falschen Erkenntnis hervorgehen, die also unvorsätzlich geschehen. Wer in einer Rechnung die einzelnen Posten nicht richtig addiert hat, irrt, insofern er das Ergebnis für richtig hält; er hat gefehlt, sofern er die arithmetischen Regeln verletzt hat. Wer ein Gesetz übertritt, das er gar nicht kennt, hat geirrt; wer aber ein Gesetz verletzt, trotzdem er es genau kennt, hat gefehlt. Man sagt, daß ein Mensch gefehlt habe, wenn er gegen die ihm bekannten Regeln der Klugheit, der Vorsicht, der Weisheit, der Güte oder der Gerechtigkeit gehandelt hat. Wer einem edlen Zwecke nachstrebt und dazu falsche Mittel ergreift, von dem sagt man, daß er irre, sofern er diese Mittel für die rechten hält; daß er fehle, sofern er diese Mittel anwendet. Wer einen niedrigen und unedlen Zweck verfolgt, der fehlt auf jeden Fall, selbst wenn er die passendsten Mittel ergriffe. „Es gibt Menschen, die gar nicht irren, weil sie sich nichts Vernünftiges vorsetzen.“ Goethe, Spr. i. Pr. 210. „Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt, | der lasse sich begraben.“ Goethe, Beherzigung.