597. Frei¹⁾. Ungebunden²⁾. Zügellos³⁾.
Freiheit wird in einem äußerlichen und innerlichen Sinne gebraucht; in dem erstem, wenn es anzeigt, daß jemand keine äußere Gewalt anerkenne, die ihn einschränken könne oder dürfe, in dem letztern, wenn er keine innere Einschränkung durch sittliche Gesetze empfindet. Dies letztere kann aber aus verschiedenen Gründen geschehen, entweder weil seine Natur mit dem Sittengesetze übereinstimmt und deshalb nie in Widerspruch zu demselben tritt (wahre Freiheit), oder weil er überhaupt sittliche Gesetze nicht anerkennt (falsche Freiheit). Diese falsche Freiheit nennt man auch Ungebunden-heit. Denn der führt ein ungebundenes Leben, der sich durch keine innere Verbindlichkeit, durch keine sittlichen Gesetze verpflichtet fühlt; so weit kommt ungebunden mit zügellos überein. Zügellos ist aber noch mehr als ungebunden. Denn es deutet auf ein Tier, das eines Zügel bedarf, durch den es gelenkt werde, das ohne Zügel seiner ganzen Wildheit überlassen ist, und dessen blinde, heftige und ungezähmte Bewegungen ihm und den andern schädlich werden. Zügellos deutet immer auf entfesselte Wildheit und Leidenschaft, ungebunden nur auf Regel- und Gesetzlosigkeit, die sich bei dem Leidenschaftslosen wie bei dem Leidenschaftlichen finden kann. Ein zügelloses Leben muß daher stets dem Zügellosen selbst wie andern Menschen zum Verderben gereichen. „Vergebens werden ungebundne Geister | nach der Vollendung reiner Höhe streben. | Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; | in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, | und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Goethe, Natur u. Kunst. „Freiheit liebt das Tier der Wüste, | frei im Äther herrscht der Gott, | ihrer Brust gewalt’ge Lüste | zähmet das Naturgebot.“ Schiller, Das Eleusische Pest