614. Furchtsam¹⁾. Blöde²⁾. Schüchtern³⁾. Befangen⁴⁾. Beklommen⁵⁾. Ängstlich⁶⁾.
Furchtsam ist derjenige, der sich leicht zu fürchten pflegt. Blöde (eig. krank, schwach, z. B. blöde Augen) heißt der, den die Furchtsamkeit hindert, mit dem nötigen Selbstvertrauen frei zu handeln. Dieser Mangel an Selbstvertrauen entsteht aus einer Verstandesschwäche, die den Blöden hindert, sich der Herrschaft dunkler und verworrener Empfindungen zu entziehen, die Dinge in ihrem wahren Lichte zu sehen und sich selbst, wie die Personen, denen er sich nähert, sowie sein Verhältnis zu ihnen richtig zu beurteilen. Kinder und Personen, die noch nicht viel in Gesellschaft gekommen sind, besonders von niederem Stande, wenn sie zum erstenmal vor Vornehmen erscheinen, sind blöde. Sie werden von der verworrenen Vorstellung geängstigt, daß man sie ungünstig beurteilen werde, und diese entsteht aus dem dunklen Gefühle ihres Unvermögens, es recht zu machen. „Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht blöde, und am wenigsten muß man im Gasthofe blöde sein.“ Lessing I, 529. Minna v. Barnh. II, 2. Die Schüchternheit (mit scheu und scheuchen verwandt) ist eine Äußerung der Furchtsamkeit, die darin besteht, daß der Schüchterne sich nicht getraut, dem Gegenstande seiner Furcht nahe zu kommen, oder daß er, wenn er ihm nahe äst, sich von ihm entfernt und vor ihm flieht. Daher sind furchtsame Vögel, die durch die geringste Bewegung verscheucht werden, schüchtern. Befangen (eig. einer, der umfangen, gefangen ist und sich nicht frei bewegen kann) drückt einen Zustand aus, in welchem wir unfähig sind, frei und natürlich zu verfahren. Wenn diese Voreingenommenheit sich bis zur körperlich schmerzlichen, beängstigenden Empfindung steigert, so nennt man sie Beklommenheit. Die Geneigtheit, sich durch allerlei, auch unbedeutendere Ursachen zu dergleichen Empfindungen stimmen zu lassen, nennt man Ängstlichkeit. Befangen und beklommen sind schonender, als ängstlich und blöde. Blöde ist ein stark tadelnder Ausdruck.