562. Feig¹⁾. Furchtsam²⁾. Verzagt³⁾. Zaghaft⁴⁾. Mutlos⁵⁾.
Die zu große und zu lebhafte Vorstellung der Gefahr macht den Menschen furchtsam. Wem der Aberglaube die Einbildungskraft mit Bildern von Gespenstern angefüllt hat, der fürchtet sich, wenn er um Mitternacht an einem öden Ort allein ist, er stellt sich tausend gräßliche Bilder vor, die ihn in Furcht setzen, und diese Vorstellungen machen ihn furchtsam. Die Furchtsamkeit ist der Kühnheit entgegengesetzt. Der Kühne verachtet die Gefahren, es sei, daß er sie nicht kennt oder nicht wahrnimmt oder nicht für unbesiegbare Übel hält; der Furchtsame sieht überall Gefahren, und seine Einbildungskraft vergrößert sie ihm. Die Feigheit (mhd. veige, ahd. feigi = vom Geschick zum Tode oder Unglück bestimmt, dem Tode verfallen; erst späterhin bedeutet es auch einen, der Todesangst fühlt, sie fürchtet) und Mutlosigkeit entspringt aus dem Bewußtsein der eigenen Schwäche, das den Feigen oder Mutlosen hindert, der Gefahr entgegenzugehen. Dem ehrliebenden Manne gibt sein Ehrgefühl Mut, der Feige kann selbst durch unvermeidliche Schande nicht dahin gebracht werden, der Gefahr ins Gesicht zu sehen. Wir verbinden daher mit dem Worte Feigheit den Begriff von Schwäche, Weichlichkeit, Kleinmut, Trägheit und Verächtlichkeit. Die Feigheit ist der Tapferkeit, die Mutlosigkeit dem Mute entgegengesetzt. Die Feigheit entsteht sowohl aus einer unmännlichen Scheu vor den Gefahren, als daraus, daß der Feige aus weibischer Weichlichkeit, um sich zu schonen, von seinen Kräften keinen Gebrauch macht und zu jeder Anstrengung träge ist. Dem Mutlosen fehlt es auch an Mut; allein der Zustand der Mutlosigkeit ist weder so dauernd, daß er den Charakter eines Menschen ausmachte, noch entsteht er aus so verächtlichen Quellen wie die Feigheit. Der Mutigste kann endlich mutlos werden, wenn er gegen unübersteigliche Hindernisse und immer frischen Widerstand seine Kräfte erschöpft hat und zuletzt an einem glücklichen Ausgange seines Kampfes verzweifeln muß. Wer verzagt ist, ist nicht beherzt, und die Zaghaftigkeit (von ahd. zago, mhd. zage, d. i. zaghaft, feige) ist der Herzhaftigkeit entgegengesetzt. Der Beherzte ist von schnellem Entschlusse, er geht der Gefahr, ohne sich lange zu bedenken, entgegen; der Verzagte und Zaghafte zaudert, mißt die Schwierigkeiten einer gefährlichen Unternehmung, geht langsam vorwärts, steht bald still und weicht bald furchtsam zurück. Wer zagt, ist also aus Furcht unentschlossen und weiß nicht, wohin er sich wenden soll. Verzagt ist stärker als zaghaft, doch bezeichnet ersteres einen vorübergehenden, letzteres dagegen einen bleibenden Zustand. Ein betäubender Schrecken macht selbst den verzagt, der sonst furchtlos ist, und nimmt allen Mut und alle Kräfte; aber eine natürliche Furchtsamkeit, die eine bleibende Eigenschaft des Zaghaften ist und nicht durch ein besonderes, unerwartetes Ereignis hervorgerufen zu sein braucht, macht, daß der Zaghafte zögert, wenn er einer Gefahr entgegengehen soll. „Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz; | wer ist so feig, der jetzt noch könnte zagen.“ Schiller, Tell IV, 2. — Auch kleinmütig, kleinlaut, scheu, feigherzig, hasenherzig, memmenhaft und memmisch gehören hierher. Kleinmütig bezeichnete ursprünglich einen Menschen von niedriger Gesinnung; Kleinmütigkeit stand im Gegensatz zur Großmütigkeit, zur ritterlichen Hochherzigkeit. Gegenwärtig ist es in dieser alten Bedeutung nicht mehr in Gebrauch; es bezeichnet vielmehr jetzt einen, der geringen Mut hat, dem der Mut gesunken ist. Es steht in der Mitte zwischen mutig und mutlos. Wer den Mut ganz verloren hat, ist mutlos geworden; wem der frische, tapfere Mut, den er anfangs einem Unternehmen entgegenbrachte, bis auf einen kleinen Rest geschwunden ist, der ist kleinmütig. „Es gibt gegen eine Stunde des Muts und Vertrauens immer zehn, wo ich kleinmütig bin.“ Schiller an Goethe, 16. Okt. 1795. Das Substantiv zu kleinmütig ist Kleinmütigkeit oder Kleinmut. Kleinmut ist nicht das ursprüngliche Wort, sondern ist aus kleinmütig zurückgebildet. Zur Bezeichnung des Kleinmutes dient häufig auch das Adjektiv kleinlaut. Kleinlaut ist eigentlich einer, der nicht viel von sich verlauten läßt, der leise und unsicher spricht. In dieser eigentlichen Bedeutung ist es aber jetzt nicht mehr in Gebrauch. Ganz ungewöhnlich sagt H. Voß in seinen Mitteilungen über Goethe und Schiller: „Aber seine (Goethes) Stimme ward kleinlaut (d. i. leise, undeutlich, vor Rührung).“ Heute ist das Wort ein volksmäßig kräftiger Ausdruck für kleinmütig. Man sagt: kleinlaut sein, kleinlaut werden, jemand kleinlaut machen. „Das machte ihn ganz kleinlaut (d. i. kleinmütig).“ „Sind viele, die allerhand Regelgeschwätz treiben über das, was dem Dichter obliege: frommet aber selbes nicht, sondern richt vielmehr Schaden an bei kleinlauten (d. i. verzagten) Gemütern.“ Klopstock. Scheu heißt der, welcher vor etwas zurückschreckt oder sich mit einer gewissen Ängstlichkeit von etwas fern hält. Die Pferde wurden scheu, d. h. sie schreckten vor irgend einem Gegenstande zurück. Der Knabe, welcher zum erstenmal in eine größere Gesellschaft kam, stand scheu von ferne. Wie man den tapferen Mann auch einen beherzten nennt, so bezeichnet man den feigen mit einem volleren Ausdruck auch als einen feigherzigen, d. i. als einen, der feigen Herzens ist. Feigherzig stellt die Feigheit als Charaktereigenschaft hin, wie beherzt die Tapferkeit, während feig hauptsächlich auf die Betätigung der Feigheit in einem einzelnen Falle hinweist. Feigherzig ist als der tiefer greifende Ausdruck besonders in poetischer Sprache üblich. „Soll er kleinmütig seine Furcht bekennen? Soll er feigherzig Religion und Freiheit verraten?“ Schiller. Hasenherzig ist ein volkstümlich derber Ausdruck, der den Feigen mit einem furchtsamen Hasen vergleicht, wie man ja in der Volkssprache auch zu einem Furchtsamen sagt: „Du bist ein rechter Hase, oder ein rechtes Hasenherz!“ Memmenhaft und memmisch gehören zu dem Substantiv Memme, das als der stärkste Ausdruck von allen den Feigling als einen weibischen Schwächling bezeichnet. Memme ist nichts anderes als das lat. mamma, mhd. die mamme, memme, d. i. die weibliche Brust, dann: weibisches Wesen, ein weibischer Mann. In gewählter Sprache ist das Wort nicht üblich. „Eine feige Memme.“ Stilling. „Und Spiegelberg wird es heißen in Osten und Westen, und in den Kot mit euch, ihr Memmen, ihr Kröten, indes Spiegelberg mit ausgespreiteten Flügeln zum Tempel des Nachruhms emporfliegt.“ Schiller, Die Räuber I, 2.