183. Aufrichtig¹⁾. Redlich²⁾.
Aufrichtig (eig. in die Höhe gerichtet, d. h. so daß jeder ihn sehen kann, nicht verborgen; Gegens. versteckt) ist der, welcher ohne jede List und Falschheit redet und handelt, dessen Tun und Reden mit seiner Gesinnung vollkommen übereinstimmt, der ohne versteckte Nebengedanken und versteckte Absichten handelt. „Meister, wir wissen, daß du aufrichtig redest und lehrest.“ Luc. 20, 21. Redlich (von Rede, d. i. eig. einer, der über alles, was er tut, mit gutem Gewissen Rede stehen, von allem Rechenschaft ablegen kann) bezeichnet einen, der seine Pflicht unter allen Umständen treu erfüllt. Namentlich gebraucht man es dann, wo es sich wirklich um eine Rechnungsablage handelt, z. B. ein Haushalter, Kassierer, Dienstbote usw. ist redlich, wenn er nichts von dem anvertrauten Gute zu seinem Nutzen verwendet; dann aber wird das Wort auch auf andere Pflichtverhältnisse übertragen, z. B. der Schriftsteller, der Künstler, der Staatsmann usw. haben sich redlich bemüht, ihrer Aufgabe gerecht zu werden. „ .... So wie wir | drei Männer jetzo unter uns die Hände | zusammenflechten, redlich, ohne Falsch“ usw. Schiller, Tell I, 4. „Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich (als Maler) daraus gemacht. — Redlich, sag ich? — Nicht so redlich wäre redlicher. Lessing, Emilia Galotti I, 4. Redlich hieß früher auch so viel als rechtlich, wozu man ein Recht hat, es sei, daß es an sich gerecht ist, oder in einer gerechten Unwissenheit gegründet ist, was also bona fide geschieht. In dieser letzteren, bisher veralteten Bedeutung ist das Wort redlich durch das allgemeine preußische Landrecht wieder in die juristische Sprache eingeführt worden. Ein bonos fidei possessor heißt in diesem, auch wegen seiner Sprache klassischen Werke, ein redlicher Besitzer, und boncœ fidei possessio ein redlicher Besitz. So spricht man auch von einem redlichen (d. i. gesetzmäßigen, legitimen) Nachkommen usw. — Auch das Wort gerade steht in Sinnverwandtschaft mit aufrichtig und redlich. Da gerade den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten bezeichnet (Gegens. krumm), so gebraucht man es auch von dem, der keinerlei Schleichwege geht und keine Winkelzüge macht. Wer etwas ohne Umschweife sagt, der sagt es gerade heraus. Ebenso handelt ein Mensch gerade und ist gerade, wenn er alles Falsche und Hinterlistige meidet. Ein Betrüger und Lügner kann den Menschen nicht gerade ins Gesicht sehen; er blickt scheu zur Seite oder nach allen Richtungen. Mit dem Worte gerade bezeichnet man daher den biederen, ehrenhaften, wahrheitsliebenden Sinn. „Dein Weg ist krumm, er ist der meine nicht. O wärst du wahr gewesen und gerade! Nie kam es dahin, alles stünde anders. Er hätte nicht das Schreckliche getan.“ Schiller, Wallensteins Tod II, 7.