127. Antlitz¹⁾. Angesicht²⁾. Gesicht³⁾.
Gesicht bezeichnet die vordere oder die Seite des Kopfes, in welcher die Augen sind, oft bezeichnet es auch den Gesichtssinn; es ist der allgemeinste Ausdruck, wird von Menschen und Tieren gebraucht und ist in der Umgangssprache, wie in gewählter Rede üblich. „Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht“ (Schiller, Der Handschuh). „Freute mich des Gesicht | und der zwei Äuglein Glanz“ (Goethe, Juni). Angesicht und Antlitz werden jedoch nur in gehobener Sprache verwendet; den Gesichtssinn können beide nicht bezeichnen. Angesicht hebt den bedeutsamsten Teil des menschlichen Körpers in seiner ganzen Ausdehnung, Erhabenheit und Schönheit hervor; daher wird es auch auf andere Dinge von großer Ausdehnung und Erhabenheit übertragen, z. B. das Angesicht des Himmels, der Erde, des Meeres usw. Die italienische und französische Sprache hat aus dieser Bedeutung der Wörter faccia und face, Angesicht, daß es die ganze vordere, durch seine vorzügliche Schönheit in die Augen fallende Seite des Kopfes anzeigt, die Wörter facciata, façade in der Baukunst hergeleitet. Da das Angesicht nicht nur sich schauen läßt, sondern auch selbst schaut, so wird es oft geradezu gebraucht, um die Gegenwart einer Person oder Sache, namentlich wenn sie erhebend oder ergreifend wirkt, zu bezeichnen, z. B. im Angesicht des Sterbenden, des Meeres, des Volkes usw. „Und sahen sein (Stephani) Angesicht, wie eines Engels Angesicht“ (Apost. Gesch. 6, 15). Antlitz (eig. das uns entgegengewendete Gesicht; mhd. antlitze, Nebenform: antlütze und antlütte; in diesen Formen mischten sich zwei ursprünglich verschiedene Worte: got: wlits, m., Angesicht, und got. ludja, Angesicht) ist wegen seines Alters noch edler und feierlicher als Angesicht. „Ach neige | du Schmerzenreiche, | dein Antlitz gnädig meiner Not“ (Goethe, Faust I, Zwinger). Von Tieren werden Angesicht und Antlitz nicht gebraucht (kommt es bei Dichtern hin und wieder vor, so sind die Tiere als Personen behandelt worden). „Der Mensch allein trägt sein Haupt aufrecht, daher hat er ein Antlitz“ (Herder). — „Der Mensch allein hat ein Haupt, dies ist unter seinem Schädel, der Schädel wölbt die Stirn; unter und mit ihr bildet sich das Menschenantlitz“ (Ebenda). — Für Antlitz gebraucht man auch das Fremdwort Physiognomie (eine Weiterbildung von Physiognom, das ist der Gesichtsforscher, Mienendeuter, von griech. physis, Natur und gnōmōs, Kenner, Beurteiler). Es bezeichnet das Gesicht, die Gesichtszüge, die Gesichtsbildung, sofern diese eine bleibende natürliche Beschaffenheit des Geistes ausdrücken, kurz: den Gesichtsausdruck. Wie schon die Entstehung der Wortes zeigt, dient es namentlich dazu, das Gesicht als Gegenstand der Wissenschaft der Gesichts- oder Mienendeutung zu bezeichnen. Das Wort ist namentlich duch Lavater, den Verfasser der physiognomischen Fragmente (1775—1778), in weiteren Gebrauch gekommen. Er versuchte es, den Charakter der Menschen aus dem Gesichte abzulesen, und begründete die Physiognomik. Das Wort Physiognomie ist aber gegenwärtig von weit niedrigerem Klange als Gesicht oder gar Antlitz. Eine Künstlerphysiognomie klingt wegwerfend, erhaben dagegen ein Künstlerantlitz. Man gebraucht das Wort daher, außer im wissenschaftlichen Gebrauch, vorwiegend bei niedrigen Menschengattungen, z. B. eine Verbrecher-, Gaunerphysiognomie usw. Dagegen steht es in höherem wissenschaftlichen Sinne, wenn man es auf andere Gegenstände überträgt und von der Physiognomie einer Gegend, einer Landschaft usw. spricht.