151. Artig¹⁾. Niedlich²⁾. Hübsch³⁾.
Artig ist das, was eine gute, angenehme Art hat, und wird Personen und Sachen, unter diesen vorzüglich den Werken der Kunst, dann beigelegt, wenn sie zwar gefallen, aber keinen Anspruch auf Erhabenheit oder ideale Schönheit machen können. Besonders bezeichnet es aber die gute Art des Charakters. Ein artiges Kind, ein artiger junger Mensch, ein artiges Mädchen gefallen, indem ihr Betragen den Anforderungen entspricht, welche die bessere Gesellschaft zur Regel macht. Ein solches artiges Mädchen gefällt, ohne eine leidenschaftliche Liebe einzuflößen. Artig ist also weniger als liebenswürdig. Ein artiges Haus, ein artiger Garten gefallen durch Bequemlichkeit und angenehmes, freundliches Aussehen, ohne Pracht und Größe. „Am grünen Hang ein artig Haus versteckt“ (Goethe, Nat. Tochter I,1). Das Niedliche (von dem ahd. Substantiv, der niot, d. i. Begehren, lebhaftes Verlangen, Freude woran, so daß niedlich eigentlich bedeutet: angenehm, Verlangen erweckend, erfreuend; im ahd. hatte man dafür das Adjektiv niotsam) gefällt durch seine feine Zusammensetzung, durch das Ebenmaß im kleinen. Daher gefallen Kinder durch den zarten Bau ihrer Glieder und die Sanftheit ihrer Bewegungen; wir nennen sie niedliche Geschöpfe, und oft ahmen ihnen erwachsene Mädchen nach. „Dies niedliche Kinderhafte im Betragen ist eine der feinsten Künste der Koketterie“ (Engl. Zusch. n. d. Übers.). „Niedlich sind wir anzuschauen, Gärtnerinnen und galant“ (Goethe, Faust II, Mummenschanz). Diese Niedlichkeit verkörpert Goethe künstlerisch vollendet in seiner Mignon im Wilhelm Meister. Hübsch (mitteldeutsche Nebenform zu höfisch, d. i. der feinen Hofzucht entsprechend) bezeichnet die schickliche Art und Weise, den Anstand, das Angemessene, Passende. Indem es auf die äußere Gestalt angewendet wird, bedeutet es die Annehmlichkeit derselben, die eine Person oder Sache durch das Schickliche, Angemessene und Regelmäßige ihrer Form hat; und durch diese Eigenschaften grenzt es an das Schöne. Ein hübsches Mädchen ist ein solches, dessen Glieder angenehme Formen haben und das durch keine Gebrechlichkeit oder Unregelmäßigkeit in seiner ganzen Figur verunstaltet ist. „Musik, Gelächter, Hopsassa, wo bleibt das hübsche Mädchen?“ Detlev von Liliencron, Kleine Geschichte, Kämpfe und Ziele (Bd. VIII, S. 108). Artig bezieht sich also auf den Charakter, der durch Gestalt und Handlungen ausgedrückt wird, hübsch auf das Regelmäßige und Anständige in den Formen, niedlich auf die Feinheit und Delikatesse in den Teilen und die Zierlichkeit in der Zusammensetzung.