203. Auslegen¹⁾. Erklären²⁾. Deuten³⁾.
Man erklärt (eig. klar, hell machen) eine Sache, indem man ihr Wesen anderen deutlicher macht, als es ihnen bisher war, namentlich dadurch, daß man die Gründe der Sache darlegt; z. B. ein Wunder, eine dunkle Rede, eine schwierige Stelle in einem Buche u. dgl. m. Man legt aber etwas aus (eig. hinauslegen, aus einem Orte hinauslegen, z. B. eine Ware auslegen, d. i. öffentlich zur Schau legen: daher in geistigem Sinne: offen vor die Anschauung und vor das geistige Auge legen, so daß der Gegenstand nach allen seinen Teilen und Eigenschaften klar erkannt werden kann), indem man es als ein Zeichen betrachtet, dessen verborgenen Sinn man anderen zur Anschauung bringt. Einen Traum auslegen heißt daher, den in ihm liegenden, verborgenen Sinn deutlich machen, einen Traum erklären aber, die Ursachen, welche ihn hervorgebracht haben, darlegen. Ein Schriftwort erklären heißt: seinen Sinn grammatisch und logisch klarstellen, es auslegen heißt: alle in ihm verborgenen Beziehungen auf die Heilslehre und das praktische Leben ans Licht ziehen. Macchiavel hat in seinen Dekaden den Livius erklärt, aber nicht ausgelegt. „Im Auslegen seid frisch und munter! | Legt ihr’s nicht aus, so legt was unter!“ Goethe, Zahme Xenien II. „Von seiner Liebe fordert man Beweise, | und nicht von seiner Ehre — Pflicht und Ehre! | Das sind vieldeutig doppelsmn’ge Namen, | Ihr sollt sie ihm auslegen, seine Liebe | sollt seine Ehre ihm erklären.“ Schiller, Wallensteins Tod III, 2. Man deutet eine Sache heißt ursprünglich: man stellt sich vor, daß sie auf eine andere hinweise, Zeichen einer anderen sei; z. B. jemand etwas übel deuten, ein Schriftwort auf Christum deuten usw. Der Aberglaube deutet Kometen, Nordlichter usw. auf Krieg und Unglück. Deuten heißt dann aber auch überhaupt, den Sinn einer Sache anzeigen ("da ze diute in der Redensart ze diute sagen, reden nicht bloß deutlich, sondern häufig zu deutsch heißt, .... so wäre deuten so viel als dem Volk, den Deutschen verständlich machen, verdeutschen.“ Grimm), z. B. ein Gleichnis deuten. Wenn dieser Sinn allgemeine Begriffe enthält, dann ist deuten mit auslegen einerlei: enthält er aber einzelne Dinge, so ist deuten im engeren Sinne gebraucht, und dann ist es von auslegen so verschieden, daß deuten nur heißt, die einzelnen Dinge anzeigen, welche durch eine Sache bezeichnet werden. So legte Daniel dem Nebukadnezar einen Traum aus, indem er ihm (Dan. 2, 42) sagte, die Bedeutung von den tönernen und ehernen Zehen sei Schwäche und Stärke: er deutete ihn auf sein eigenes Königreich, welches solche schwache und starke Teile enthalte. „Ein altes Märchen endigt so, | wer heißt sie’s deuten?“ Goethe, Faust I, Schluß. „Elisabeth: Willst Du mich Lügen strafen, Elender? | Wann hieß ich Dir die Schrift an Burleigh geben? | Davison: Nicht in bestimmten, klaren Worten — aber — | Elisabeth: Nichtswürdiger! Du wagst es, meine Worte | zu deuten? Deinen eignen blut’gen Sinn | hineinzulegen?“ Schiller, Maria Stuart V, 14. Deuteln ist das Diminutivum von deuten im weiteren Sinne, und heißt, sowohl jede Kleinigkeit in einer Sache als ein Zeichen ansehen, als auch durch Spitzfindigkeit den Sinn verdrehen. — „Drauf Konrad sprach: Ein Kaiserwort soll man nicht drehn und deuteln.“ Bürger.