89. Angenehm¹⁾. Lieblich²⁾. Anmutig³⁾.
Anmutig (von Anmut, d. i. Begierde, Lust an etwas, dann das, was unsere Lust und Begierde anzieht und mild erregt, das Anziehende, Reizende an einem Gegenstande; Schiller nennt die Anmut „eine bewegliche Schönheit“, d. i. eine solche, die „an ihrem Subjekt zufällig entstehen und ebenso aufhören kann“, Goethe nennt sie „sinnliche Schönheit“) ist das, was die Sinne mild anregt und befriedigt, was sich gleichsam in die Sinne schmeichelt; es ist eins der köstlichsten Worte unserer Sprache, z. B. eine anmutige Gruppe, eine anmutige Musik usw. „Anmutig Tal! Du immergrüner Hain!“ (Goethe, Ilmenau am 3. Sept. 1783). Goethe, der Dichter, der zuerst die Grazie in die deutsche Poesie einführte, gebraucht das Wort mit besonderer Vorliebe. Angenehm (eig. was man gern annimmt) ist das, was uns nicht stört und hindert, was uns Freude, Erquickung, Forderung, Genuß bringt, z. B. ein angenehmes Geschenk, eine angenehme Beigabe, ein angenehmer Gesellschafter, ein angenehmes Betragen usw. Der Schönheitssinn und ein gebildeter Geschmack brauchen hierbei gar nicht in Frage zu kommen. Man kann z. B. einen Weg angenehm nennen, weil er durch schattiges Gebüsch führt, das an heißen Tagen angenehme Kühle gewährt; als anmutig würde man ihn nur seiner landschaftlichen Schönheiten wegen bezeichnen können. „Ich erinnere mich nicht leicht einer angenehmern Empfindung“ (Goethe, Dichtung u. Wahrh. II, 10 [als er in Sesenheim vor dem Pfarrhause saß]). Lieblich (Zusammensetzung mit dem Adjektivum lieb, was so gestaltet ist, daß man es lieben muß; die Wurzel, auf die lieb zurückgeht, ist dieselbe wie von den Wörtern Glaube, Lob, geloben und erlauben, ihre Bedeutung ist die des Gefallens; daher bezeichnet lieb auch das, was gefällt, was das Herz erfreut, wie Liebe ursprünglich Freude bedeutete, z. B. in Lieb und Leid, d. i. in Freud und Leid) bezeichnet das, was im höchsten Grade sinnliches Wohlgefallen erregt; es berührt sich näher mit anmutig, als mit angenehm, sagt aber noch mehr als anmutig, indem es anzeigt, daß eine innigere Teilnahme des Gemütes hervorgerufen wird. „Lieblich in der Bräute Locken | spielt der jungfräuliche Kranz“ (Schiller, Glocke). Anmutig nimmt meist nur auf Gesicht und Gehör, zuweilen auch auf das Gefühl Bezug, lieblich und angenehm auf alle Sinne, auch auf Geruch und Geschmack. Angenehm drückt einen geringeren Grad des Wohlgefallens aus, als die beiden andern Worte. Dieser Wein schmeckt lieblich, sagt mehr, als: er schmeckt angenehm. Zwischen den Substantiven Anmut und Lieblichkeit (Angenehmheit ist veraltet und dafür das etwas anders gefärbte Annehmlichkeit eingetreten) besteht dieselbe Sinnverwandtschaft. „Ich hatte das Vergnügen, sie beim ersten Blick auf einmal in ihrer ganzen Anmut und Lieblichkeit zu sehn“ (Goethe, Dicht. u. Wahrh. 2, 10).