205. Auslesen¹⁾. Aussuchen²⁾. Wählen³⁾. Erwählen⁴⁾. Auswählen⁵⁾. Auserwählen⁶⁾. Erlesen⁷⁾. Küren⁸⁾. Kiesen⁹⁾. Erkiesen¹⁰⁾.
Auslesen bedeutet bloß, unter mehreren Dingen eines oder mehrere aussondern; aussuchen hebt hervor, daß dieses Aussondern mit besonderer Sorgfalt geschieht, wählen setzt aber noch zu diesem Begriffe hinzu, daß man dem Ausgelesenen vor den übrigen Dingen, aus denen man eins ausgesondert hat, den Vorzug gibt und dasselbe um seiner Vorzüge willen begehrt (wählen ist mit wollen desselben Stammes). Man kann z. B. aus einer Menge gepflückten Obstes das reife wie das unreife auslesen oder aussuchen, man wählt zum Genusse aber nur das reife. Das Aussuchen geschieht mit sorgfältigerer Prüfung als das Auslesen; die peinlichste Überlegung und Beratschlagung aber geht dem Wählen vorauf, deshalb bezeichnet wählen oft auch geradezu das Schwanken vor der Entscheidung. Ein König wird zur Verwaltung hoher Staatsämter nicht aufs Geratewohl unter den Bewerbern eine Anzahl Personen auslesen, sondern er wird die treuesten und die geschicktesten Männer aussuchen und lange wählen, ehe er sich entscheidet. Zwischen Schande und Tod wird ein ehrliebender Mann nicht lange wählen. Auswählen heißt, aus einer größeren Menge etwas wählen, während man auch zwischen zwei Dingen wählen kann. Kiesen (mit lat. gustus, Geschmack, sowie mit kosten, kauen verwandt, urspr. kostend, schmeckend prüfen, z. B. Wein, Bier kiesen, dann aber auch: sich für das Geprüfte entscheiden. Hildebrand, Gr. Wb. V, 692 ff.) ist ein altertümliches Wort, welches das Prüfen beim Wählen besonders hervorhob (mit frz. choisir, engl. to choose verwandt); gegenwärtig wird es nur noch in dichterischer Sprache als poetischer Ausdruck für wählen verwendet, wie küren und erkiesen auch. „Frei ist der Flug der Ode, sie kieset, wonach sie | lüstet, und singts.“ Klopstock, Der Grenzstein 1782. „Denn niemand wagt es, diesen oder den | zu küren mit dem hellen Ruf der Wahl.“ Unland, Ernst von Schwaben II. Bei erwählen, erlesen, erkiesen bleibt der Unterschied der Stammwörter, nur fügt die Vorsilbe zu dem Begriffe des Aus-sonderns den der Zuneigung seitens des Wählenden hinzu. Daher werden diese Wörter vorwiegend reflexiv gebraucht. „Vergib, du Herrliche, die mich geboren, | daß ich, vorgreifend den verhängten Stunden, | mir eigenmächtig mein Geschick erkoren, — | nicht frei erwählt ich’s, es hat mich gefunden.“ Schiller, Braut v. Mess. II, 1. „Freiheit, holdes Wesen, | gläubig, kühn und zart, | hast ja lang erlesen, | dir die deutsche Art.“ M. v. Schenkendorf, Freiheit. Zu erkiesen gab es mhd. einen Gegensatz: verkiesen, d. i. nach dem Prüfen verwerfen. Die Vorsilbe aus in auserwählt und auserlesen verstärkt die Bedeutung des Stammwortes, weil sie eine große Menge von Dingen anzeigt, aus welchen eins erwählt und erlesen ist. Auserwählt und auserlesen, auch auserkoren muß also ein Ding von höchster Vortrefflichkeit sein, weil es allen anderen seiner Art vorgezogen wird, z. B. eine auserlesene Pracht, ein auserwähltes Kleinod. So wird die Geliebte häufig die Auserwählte genannt, z. B. „Hört von meiner Auserwählten, höret an mein schönstes Lied!“ Bürger, Das hohe Lied von der Einzigen.