188. Aufschneiden¹⁾. Wind machen²⁾.
Aufschneiden heißt eigentlich, etwas zum Genusse bei Tische zurecht schneiden, z. B. Fleisch aufschneiden, Brot aufschneiden also: etwas schneiden und dann auftischen. Ursprünglich lautete die volle, auch jetzt zuweilen noch übliche Wendung: mit dem großen Messer aufschneiden, wobei an das Weidmesser der Jäger zu denken ist, die bei ihren Gastmählern gern übertreibende Jagdgeschichten zum besten gaben. Die Redensart wurde nun auf übertreibende Erzählungen überhaupt angewandt; man sagte von einem, der beim Erzählen die Dinge vergrößerte: er schneide mit dem großen Messer auf (nämlich wie die Jäger); daraus wurde gekürzt; er schneidet auf. Man sagt dafür wohl auch: das große Messer führen. Sowohl dem Aufschneider als dem Windmacher ist es zur Gewohnheit geworden, die Unwahrheit zu sagen. Allein der erstere vergrößert bloß das Wahre über die Grenzen der Wahrheit hinaus; von dem was der letztere erzählt, ist oft gar nichts wahr. Windmachen ist also der allgemeinere Ausdruck. Die Quelle ist bei beiden die Eitelkeit. Der Windmacher will der Neugier der Menschen Nahrung geben, es schmeichelt ihm, wenn er sich durch Neuigkeiten, die noch niemand weiß, ein aufmerksames Gehör verschaffen und sich auf solche Art geltend machen kann. Der Aufschneider, sofern er nicht zugleich als Großsprecher seine eigenen Vorzüge erhebt, will durch das Große und Außerordentliche Bewunderung erregen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zu ziehen. Windmachen ist nur in der Umgangssprache gebräuchlich und wird in guter Sprache vermieden. „Sie können vor der ganzen Stadt als Windmacher dastehen.“ Schiller, Kab. u. Liebe III, 3. Hier wird absichtlich diese verächtliche Bezeichnung gewählt, um den Hofmarschall aufs bestimmteste zu erregen. Der Aufschneider wird auch ein Prahler (s. d. Artikel prahlen), ein Prahlhans, ein Dicktuer, Flunkerer, Maulheld, Ruhmprediger, Wortheld, Zungenheld, Bramarbas, Gascogner, Renommist, ein Rodomonte und Fanfaron genannt. Prahlhans ist ein volksmäßiger Ausdruck für Prahler und bezeichnet den, der sich besonderer Vorzüge rühmt, die er gar nicht besitzt, oder großer Taten, die er gar nicht vollbracht hat, oder der die Eigenschaften und Taten der Wirklichkeit ausschmückend vergrößert. Viele Eigennamen sind in allgemeinerer Bedeutung geradezu als Gattungsnamen in Gebrauch, z. B. Michel (grober, dummer Michel), Peter (Lügenpeter), Liese (Schwatzliese, Faselliese) usw. Ähnlich wird auch Hans schon seit alter Zeit gebraucht, z. B. Faselhans, Lügenhans, Schmalhans, Schnarchhans, Polterhans u. a. Namentlich erscheint der Name auch mit Zusätzen, z. B. Hans ohne Sorgen, Hans in allen Ecken, Hans in allen Gassen, Hans Dampf, Hans Narr, Hans Tapps oder: Hans tapp ins Mus, Hans Unverstand, Hans Nimmersatt, Hans Wurst (Hanswurst, Bezeichnung der lustigen Person in der Komödie; damit ist wohl ein Mensch von lächerlicher, unbeholfener, wurstähnlicher Gestalt gemeint). Zu diesen volkstümlichen Bezeichnungen gehört auch Prahlhans. Ein Dicktuer ist einer, der sich mehr Wichtigkeit beilegt, als er besitzt; der Ausdruck ist ein volksmäßiges Kraftwort. Ein Flunkerer (von flunkern, d. i. eigentl. flimmern, glänzen, dann: einen Schein erregen) ist der, welcher durch seine übertreibenden Reden sich in ein günstiges Licht zu setzen bestrebt ist; er will blenden, aber gewöhnlich auch täuschen. Er verfolgt bei seinen Reden häufig unlautere Zwecke. Wer immer bloß in Worten sich großen Mutes und großer Taten rühmt, sich aber dann, wenn es darauf ankommt, feige aus dem Staube macht, der wird ein Wort- oder Zungenheld, mit kräftigem Volksausdrucke ein Maulheld genannt. Während der Aufschneider und Windmacher nicht ihre eigenen Vorzüge zu verherrlichen bestrebt sind, hat es der Ruhmredige nur auf die Vergrößerung seiner Vorzüge abgesehen; die Ruhmredigkeit ist eine übertriebene und widerwärtige Form des Eigenlobes, bei der das Lob jedoch unbegründet ist. Der Gascogner ist eigentlich ein Einwohner der Provinz Gascogne in Frankreich; da diese aber für Aufschneider und Windbeutel galten, so wird das Wort in dieser Bedeutung gebraucht. Ein Fanfaron (von frz. fanfare, eigentl. ein Trompetenstück, ein Jagdruf, ein Trompetentusch, dann aber auch: Lärm, eitles Gepränge) ist einer, der viel nichtigen Lärm in Worten macht, um seiner Person größere Wichtigkeit beizulegen; seine prahlerischen Reden heißen Fanfaronnaden oder Fanfaronnerien. Renommist (von frz. renommer, d. i. eigentl. wiederholt nennen) ist das Fremdwort, welches den Ruhmredigen bezeichnet. Den Renommisten kennzeichnet namentlich sein vorlautes und absprechendes Wesen. Besonders werden Raufbolde und ausschweifende Studenten, die sich durch ein eitles, prahlerisches aufgeblasenes Wesen hervortun, so genannt. Man vergleiche Zachariäs Gedicht: Der Renommist. Rodomónte, oder Rodomont (eigentl. Rodamonte, d. i. der Bergfortwälzer, von lombardisch rodare, d. i. fortrollen, aus lat. rota, Rad, und it. monte, Berg) ist eine Benennung des Prahlers, die zuerst von Bojardo in seinem Orlando innamorato und dann in Ariosts Orlando furioso angewendet wird; seine Prahlereien heißen Rodomontaden (it. rodomontáta). Ähnlich ist Bramárbas eine auf einer Dichtung beruhende Bezeichnung eines Maulhelden und Eisenfressers (zu span. und prov. bramar, frz. bramer, schreien). Bramarbas ist der Name eines Aufschneiders in einem satirischen Gedichte Philanders von der Linde (Burkhard Mencke), der dann von Gottsched auf die Titelrolle des Holbergsehen Lustspiels Jacob von Tybor übertragen wurde. Dazu gehört das Verbum bramarbasieren.