120. Anständig¹⁾. Sittsam²⁾. Bescheiden³⁾. Ehrbar⁴⁾.
Das Anständige vermeidet das Anstößige, sofern es entweder ekelhaft oder der sittlichen Würde des Menschen überhaupt oder der Würde eines gewissen höheren Standes entgegen ist. Sittsam (ahd. situ-sam = geschickt in der Weise, wie man lebt und handelt) steht der Unlauterkeit des Gemüts, sowie allem Heftigen und Auffallenden entgegen. An dem Sittsamen gefällt ein gewisser Ton der Mäßigung in Bewegung, Rede, Kleidung, sofern in allen diesen sich sittliche Reinheit, Selbstbeherrschung aussprechen. Und das alles darum, weil dieser Ton der Mäßigung nicht allein ein Zeichen der inneren Ruhe, der Selbstbeherrschung, der Überlegung und der Herrschaft der Vernunft, sondern auch der Achtung gegen sich selbst und andere ist. Neben sittsam findet sich auch das Adjektiv sittig, das hauptsächlich das Anspruchslose, Ruhige, Bescheidene im Wesen hervorhebt, z. B. ein sittiges Kind, Mädchen usw. Auch von Tieren wird das Wort sittig gebraucht und heißt dann so viel wie zutraulich. Die Bescheidenheit (bescheiden ist eig. einer, der zu scheiden versteht, was ihm zukommt und was nicht) ist die freiwillige Einschränkung des Gebrauchs unserer Rechte, die aus der NichtÜberschätzung unseres eigenen Wertes entspringt. Der Bescheidene verlangt keine Ehrenbezeigungen. Früher bedeutete bescheiden so viel wie: zu urteilen verstehend, einsichtsvoll; so noch bei Schiller: „Baumgarten sagt Ihr? Ein bescheidner Mann.“ Teil I, 4. Die Ehrbarkeit schließt die Anständigkeit und die Sittsamkeit in sich. Sie ist diejenige Einrichtung unseres Betragens, ohne die wir uns keine Achtung und Ehre in der menschlichen Gesellschaft erwerben können. Ein ehrbarer Mensch wird sich allezeit hüten, etwas zu tun, wodurch er die Achtung anderer verlieren könnte, und sich hingegen so betragen, daß er die Achtung verdiene, die seinem Stande, seinem Alter und seinem guten Namen gebührt. Daher sind unanständige Worte, Gebärden und Handlungen auch gegen die Ehrbarkeit; und man sagt von einem Kinde, das für sein Alter schon sehr sittsam ist, daß es recht ehrbar dasitze. „Sie (die Pilgerin) bitte doch, zu glauben, daß die Absicht ihrer Reise mit der gewissenhaftesten Ehrbarkeit bestehen könne“ (Goethe, Wanderj. I,5). „Mut und Bescheidenheit sind die unzweideutigsten Tugenden“ Goethe (Spr. i. Pr. 501; aus Lorenz Sternes: The Koran).