157. Auf¹⁾. Offen²⁾.
Auf (mittelhochd. ûf, in Mitteldeutschland noch heute mundartlich uff) war ursprünglich nur Adverbium und bezeichnete die Richtung nach oben, eine Bewegung in die Höhe (wahrscheinlich mit oben und über verwandt, als Gegensatz zu den Adverbien nieder, z. B. aufstehen (Gegensatz: niederlegen), aufspringen (Gegens.: niederkauern, niederducken), aufblicken (Gegens.: niederblicken) usw. oder ab, z. B. aufsteigen (Gegens.: absteigen, auch: niedersteigen), aufspringen (z. B. auf einen Straßenbahnwagen, Gegens.: abspringen), auf- und abgehen usw. In dieser Bedeutung kommt es namentlich in den Adverbien hinauf, herauf (Gegens. hinunter, herunter) vor sowie in Zusammensetzungen mit Verben, z. B. aufheben, aufziehen, aufwachsen, auffliegen, aufrücken usw. Das Adverbium auf entwickelte aus dieser Grundbedeutung bald zwei weitere, nämlich erstens: das Heraufkommen an die Oberfläche eines Dinges und das Berühren der Oberfläche oder Ausbreiten, Ruhen usw. auf dieser, und in dieser Bedeutung wurde es vor allem als Präposition verwendet, z. B. auf dem Tische liegen, etwas auf den Tisch legen, auf der Straße, auf dem Wasser, auf dem Boden, auf dem Stuhle sitzen, aufs Land gehen, auf der Erde usw. Zweitens gewann auf die Bedeutung des Überganges von der Ruhe in eine größere oder geringere Bewegung, z. B. Der Knabe stand, sprang, setzte sich, schnellte auf; das Wasser wallte auf; aufstören, aufjagen, aufschrecken; das Volk wurde aufgehetzt, aufgeregt, aufgewiegelt usw. „Steigt Christus mit der Siegerfahne frohlockend aus dem Grabe auf.“ Detlev von Liliencron, Ein Bauerngrab. Bunte Beute, 4. Aufl. S. 195.
Aus dieser letzteren Bedeutung entwickelte sich die des Öffnens eines geschlossenen Gegenstandes, indem bei dem geschlossenen Gegenstand die schließenden Teile sich in Ruhe befanden, aus der sie durch das Öffnen gebracht wurden, z. B. die Tür, das Fenster ging auf, einen Schrank aufbrechen, eine Tür aufschließen, aufriegeln, aufklinken, einen Handschuh aufknöpfen, eine Nuß aufknacken, aufbeißen, etwas aufschneiden usw. Der Gegenstaud, der als Verschluß dient, wird aus seiner Ruhe bewegt; daß auf ursprünglich nur die Bewegung nach oben bezeichnete, ist dabei verdunkelt und daher schließlich ganz beiseite gelassen worden. Während man anfangs wohl nur solche Bewegungen schließender Gegenstände im Auge hatte, die sich beim Öffnen nach oben bewegten, z. B. der Deckel sprang auf, man hob die schwere, den Keller verschließende Platte auf oder zog die Falltür auf usw., trat schließlich dieser Gesichtspunkt zurück, und man wandte das Wort auf das Öffnen nach jeder Richtung an. Das Wort trat nun einfach in Gegensatz zu dem Adverbium und der Präposition zu. Wie aber dieses Adverbium nicht nur eine Bewegung bezeichnet, z. B. zuschließen, zumachen, zuwerfen usw., sondern auch den dadurch herbeigeführten bleibenden Zustand, z. B. die Tür ist zu, der Deckel ist zu usw., so nahm auch auf die Bezeichnung eines bleibenden Zustandes an, z. B. die Tür steht auf, bleibt auf, laß die Tür auf usw. Hier nun tritt das Wort in Sinnverwandtschaft mit offen. Offen (Gegens. geschlossen) ist, wozu der Zugang und Ausgang nicht gehindert wird, das Hindernis oder die Abwesenheit desselben mag natürlich oder künstlich sein. Auf (Gegens. zu) ist das Hindernis selbst, durch dessen Beseitigung etwas einen ungehinderten Zugang hat. Auf bezieht sich also zunächst auf die Tätigkeit des Öffnens, offen nur auf den Zustand des Geöffnetseins. „Da brach es auf! Da lag es kund und offen.“ Schiller, Pico. II, 7. Man tut, zieht, bricht, stößt, sprengt usw. etwas auf, es geht, fliegt, springt usw. etwas auf, und dann ist es offen. Wenn der Schlagbaum aufgezogen ist, dann ist der Übergang offen. Ursprünglich hat auf sich auf ein vertikales Sperrmittel, hernach auch auf ein horizontales bezogen. Eine Tür ist offen, wenn ihre Flügel aufgemacht worden sind. Auf zur Bezeichnung des Zustandes des Geöffnetseins kann man nur von dem als Verschluß dienenden Gegenstande sagen, z. B. das Tor, die Tür, das Fenster, das Gatter, der Deckel, die Klappe steht auf, der Riegel, der Knopf, der Heftel ist auf usw. Offen dagegen sagt man von dem Dinge, das durch Beseitigung des Sperrmittels, des als Verschluß dienenden Gegenstandes geöffnet worden ist, z. B. das Haus ist offen (falsch: auf), der Stall, das Gefängnis, die Stadt, das Land, die Dose, der Gang, das Kleid, die Kammer, das Gemach ist offen (nicht: auf); die Augen sind offen, offener Leib usw. „Das Auge sieht den Himmel offen.“ Schiller, Glocke. „Ihr seid kommen zu besehen, wo das Land offen ist.“ Luther, 1. Mos. 42, 12. „Eine offene Stadt ohne Mauern.“ Luther, Sprüche Sal. 25, 28.
Zuweilen findet aber eine Vermischung dieses klaren Sprachgebrauches statt, die darauf beruht, daß sich das Verhältnis zwischen geöffnetem Gegenstand und Sperrmittel verschiebt und derselbe Gegenstand infolgedessen bald als geöffneter Gegenstand, bald als Sperrmittel erscheint. Wenn ich sage: „Das Haus ist offen, weil die Tür auf ist“, so ist Haus der geöffnete Gegenstand und Tür das Sperrmittel. Sage ich aber: „der Riegel ist auf, und die Tür ist nun offen“, so ist die Tür der geöffnete Gegenstand und der Riegel das Sperrmittel. Man kann nämlich die Öffnung sowohl als die Flügel derselben die Tür nennen, und dann hat man sagen können: die Tür ist auf, und sie ist offen. „Willst du mich glücklich wissen, so laß die Türen offen stehn.“ Geliert. Stehen nicht Amors Tempel offen?“ Schiller, Braut von Messina. „Die Tür ist offen, hast freien Lauf.“ Goethe, Faust I. — Offen steht dann überhaupt auch in der Bedeutung frei, z. B. das offene Feld, das offene Meer. — Auf kann hier nicht für offen in diese Bedeutung eintreten. — Da auf Adverbium ist, so kann es nicht attributiv stehen, und es tritt daher überall in dieser Stellung offen ein, auch da, wo sonst auf stehen müßte, z. B. die offene Tür, der offene Riegel, Knopf, Heftel, das offene Fenster, das offene Haus usw. Einige Grammatiker haben dies auch auf die prädikative Stellung ausgedehnt und verwerfen daher den Sprachgebrauch: „Die Tür ist auf“ und verlangen hier in dieser Stellung: „Die Tür ist offen.“ Diese Regel ist aber grundfalsch. Denn das Adverbium kann, da die prädikative Stellung eines Wortes dies unflektiert erfordert, auch prädikativ stehen. Wie ich sage: der Wagen ist hier“, so sagt man auch richtig: „die Tür ist auf“.